Abstract (deu)
Die Besonderheit bei der Entstehung der Sozialversicherung des österreichischen Notariates ist die Tatsache, dass es sich beim Notarversicherungsgesetz (NVG) des Jahres 1926 im Gegensatz zu den sonstigen Sozialversicherungsgesetzen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts um ein geschlossenes berufsständisches Regelwerk handelt. Dieses sollte evidentermaßen Vorbildfunktion für mögliche Sozialgesetze anderer freier Berufe haben, blieb aber neben dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) des Jahres 1935 tatsächlich das einzige seiner Art, das in seiner Stammfassung sämtliche Sozialversicherungszweige regelte.
Im Gegensatz zu den freien Berufsständen hatten die Notare ein vergleichsweise großes Interesse an einer sozialen Absicherung durch den Staat. Diese Einsicht resultierte aus den realen Lebensumständen der Notare und Notariatskandidaten, die für eine nicht geringe Zahl dieser über Jahrzehnte hinweg wirtschaftlich schwierig waren und blieben. Die teilweise prekäre Einkommenssituation verhinderte gleichzeitig für lange Zeit die Realisierung eines entsprechenden Sozialversicherungsgesetzes, weil man befürchtete, dass viele Standesmitglieder die Prämien für eine obligatorische Versicherung nicht aufbringen werden können. Aber erst als die wirtschaftliche und soziale Lage des Standes nach dem Ersten Weltkrieg so schlecht war, dass resignierte Notare, Angehörige und Hinterbliebene der Armut zum Opfer fielen, kam es zur Einführung der Notarversicherung.
Die Quellen zeichnen ein ambivalentes Bild der wirtschaftlichen Situation der Notare: Es lässt sich der Schluss ziehen, dass die Lage der Notare vor dem Ersten Weltkrieg generell nicht als notleidend bezeichnet werden kann. Dass es aber unzweifelhaft eine größere Gruppe von Notaren gab, die sich und ihre Angehörigen nicht ausreichend gegen die Gefahren des Todes, des Alters oder der Invalidität versichern konnte, verdeutlichen die Zahl der nicht privat versicherten Standesmitglieder und die vielen privaten Versicherungsverträge, die über geringe Summen abgeschlossen worden waren. Mit der immer stärker werdenden Geldentwertung in Folge des Ersten Weltkrieges verschlechterte sich die wirtschaftliche und soziale Lage der Notare aber erwiesenermaßen massiv. Bei den aktiven Notaren kam es in dieser Zeit nachweislich zu einem starken Rückgang der Geschäftstätigkeit.
Die Renten, die auf Grundlage des NVG des Jahres 1926 ausgezahlt wurden, waren für resignierende Notare und deren Witwen als ausreichend anzusehen. Die Notare, die bereits vor 1926 resignierten, konnten mit den ihnen ausgezahlten „Drittelrenten“ ihre Lebenshaltungskosten jedoch nicht decken. Das Gleiche gilt für Witwen solcher Notare. Die „Neurenten“ der NVG-Novelle 1934 brachten dagegen eine spürbare Verbesserung der Situation.
Verglichen mit dem GSVG des Jahres 1935 war das NVG in seiner Stammfassung äußerst rudimentär ausgestaltet. Schon die teilweise sehr tiefgreifenden Novellierungen der Jahre 1934 und 1937 machen deutlich, dass man einem legistischen Vorbild für andere freie Berufe nicht gerecht werden konnte. Vielmehr wurde das NVG im Jahre 1937 in vielen Punkten dem GSVG angepasst. Die Novelle des Jahres 1934 machte wiederum deutlich, dass ein reines Kapitaldeckungsverfahren als gesetzliche Pflichtversicherung, insbesondere in sich wirtschaftlich verschlechternden Zeiten, als Vorsorgeinstrument nicht haltbar war. Die vor allem in finanzieller Hinsicht bedeutsame Verbesserung des Leistungsspektrums der Versicherung wurde durch die Novelle 1934 zu großzügig bemessen, was den Gesetzgeber bereits 1937 zu einer Korrektur zwang. Diese Novelle war auch durch die sinkenden Beitragseinnahmen der Versicherungsanstalt des österreichischen Notariates seit Beginn der Dreißiger Jahre bestimmt.
Die nationalsozialistische Herrschaft setzte dem österreichischen Notariat in seiner bestehenden Form und in der Folge auch dem NVG ein Ende. An die Stelle des NVG traten die deutschen Bestimmungen der Notarkasse, die zu einer deutlichen Verbesserung der sozialen Situation bei den Leistungsempfängern führten.