Abstract (deu)
Die vorgelegte Arbeit zielt auf eine systematische Rekonstruktion der grundlegenden geschichtstheologischen Perspektive des spanisch-salvadorianischen Philosophen und Theologen Ignacio Ellacuría (SJ) als Beitrag zu einer fundamentaltheologischen Fundierung des Projekts einer Theologie der Befreiung.
Sie geht dazu in zwei Schritten vor: In einem ersten Teil gewinnt sie aus einer Analyse des umfangreichen philosophischen Textkorpus Ellacurías die wesentlichen Dimensionen und Strukturmerkmale der „geschichtlichen Realität“ als der sowohl ontologischen als auch geschichtsphilosophischen Zentralkategorie Ellacurías. Ein zweiter Teil entwickelt davon ausgehend Ellacurías Perspektiven auf das Verhältnis von „geschichtlicher Realität“ und „Erlösung“, wobei der Fokus auf der angemessenen Artikulation des Verhältnisses von Profan- und Heilsgeschichte liegt. Die Klärung dieses Verhältnisses wird als die fundamentaltheologische Grundfrage der Theologie der Befreiung identifiziert.
Die philosophische Grundlage von Ellacurías Begriff der „geschichtlichen Realität“ bildet die Philosophie Xavier Zubiris. Zur Gewinnung des Begriffs der „geschichtlichen Realität“ entfaltet das erste Kapitel der Arbeit daher zunächst die Grundzüge von Zubiris Verständnis der „Realität“. Wesentliche behandelte Aspekte sind dabei das Verhältnis von „Realität und Wahrheit“, der transzendentale Charakter der Realität sowie Zubiris Verständnis der Realität als „Struktur“. Das Kapitel zeichnet nach, wie Zubiri mit dem Begriff der „Realität“, in Fortschreibung und Überbietung der philosophischen Phänomenologie in der Tradition Husserls und Heideggers, eine philosophischen Kategorie zu entwickeln sucht, die die klassischen Dualismen der neuzeitlichen Philosophietradition (Natur–Geist, Sinnlichkeit–Vernunft, Subjekt–Objekt, Individuum–Gesellschaft) überwindet.
Ein zweites Kapitel skizziert, wie Ellacuría ausgehend von einer „Dynamisierung“ des Realitätsbegriffs Zubiris seinen Begriff der „geschichtlichen Realität“ gewinnt. Es analysiert die grundlegenden Strukturmerkmale desselben und zeichnet nach, wie sich Ellacuría schrittweise einem Verständnis der „geschichtlichen Realität“ als „Praxis“ annähert. Ausgehend von einer Analyse der unterschiedlichen Definitionen von „Praxis“ im Werk Ellacurías wird dargestellt, inwiefern eine für ihre eigene Selbstüberschreitung offene „befreiende Praxis“ als der Ort betrachtet werden muss, an dem sich die „Wahrheit“ der Realität in besonderer Dichte zeigt. „Befreiende Praxis“ wird dadurch als eine nicht nur ethische, sondern auch als zentrale ontologischer Kategorie deutlich.
Der zweite Teil der Arbeit skizziert die Konsequenzen, die sich aus dem Begriff der „geschichtlichen Realität“ für die Verhältnisbestimmung von Heils- und Profangeschichte ergeben und entwickelt daran anschließend in Auseinandersetzung mit zwei paradigmatischen Positionen moderner europäischer Geschichtstheologie (Karl Rahner und Wolfhart Pannenberg) die weiteren systematischen Grundlinien der Geschichtstheologie Ellacurías. Das erste Kapitel dieses Teils lässt die Christologie Ellacurías als grundlegende Matrix seiner Geschichtstheologie deutlich werden und entfaltet diese unter folgenden Aspekten: christologische Interpretation von Natur und Geschichte, die spezifischen Charakteristika eines christlichen Verständnisses von Transzendenz, das Verhältnis von Geschichte und Eschatologie, die „Objektivierung“ von Heil und Sünde in geschichtlichen Strukturen, das Verhältnis von „Theophanie“ und „Theopraxis“, die Frage nach dem „Subjekt der Heilsgeschichte“ und seinem Verhältnis zum „Subjekt der Profangeschichte“, das Verhältnis von Christentum und (politischer) Macht und der „Zeichencharakter“ der Geschichte.
Das letzte Kapitel untersucht vor dem Hintergrund dieser geschichtstheologischen Perspektive Ellacurías Theologumenon des „gekreuzigten Volkes“. Es entfaltet die wesentlichen Merkmale desselben und bestimmt den theologisch-systematischen Ort, der ihm innerhalb der geschichtstheologischen Perspektive Ellacurías zukommt. Das Kapitel macht deutlich, warum Anspruch, Legitimität, Bedeutung und Grenze des Theologumenons vom „gekreuzigten Volk“ nur unter Berücksichtigung dieser umfassenden Perspektive angemessen beurteilt werden können und entkräftet bzw. relativiert damit Einwände, die in den letzten Jahren auch im deutschen Sprachraum gegen die Rede vom „gekreuzigten Volk“ geltend gemacht wurden.
Den Abschluss der Arbeit bilden Überlegungen zur gegenwärtigen Relevanz der geschichtstheologischen Perspektive Ellacurías.