Abstract (deu)
In dieser kognitionstheoretischen Auseinandersetzung mit dem musikalischen Improvisieren werden Aspekte der prozessualen musikalischen Gestaltung (der „Erzeugung“) sowie der Expertise (der „Erzeugungskompetenz“) erforscht. Einen Schwerpunkt bildet die Untersuchung eines "embodied knowledge" in Bezug auf Kompetenzen, Kompetenzaneignung und generierende Arbeitsweisen. Es wird detailliert herausgearbeitet, wie dieses aufgebaut werden kann und wie Experten auf Basis von "soft-assembled-structures" expressiv fein-artikuliert und situativ selbstanpassend improvisieren können. Hervorgehoben wird die Bedeutung einer individuellen „Wahrnehmungs- und Erlebnisebene“ für das musikalische Improvisieren. Diesbezüglich wird dargestellt, dass eine individuell konstruierte Affektebene wesentlich in die Erarbeitung einer Expertise und auch in den Improvisationsprozess eingebunden ist und dass ein musikalisch affizierendes Wirkprinzip gleichermaßen ein Wahrnehmungsprinzip, gestalterisches Konstruktionsprinzip, Evaluationsprinzip, Kommunikationsprinzip und Motivationsprinzip beim musikalischen Improvisieren darstellt. Anzumerken ist, dass die Forschung der musikalischen Affizierbarkeit eine fundamentale und transkulturelle Bedeutung für die menschliche Beschäftigung mit Musik zwar beimisst, dieser nur im Zusammenhang mit dem musikalischen Improvisieren bis dato wenig Beachtung geschenkt hat. Diese musikalische Affizierbarkeit wird hier als essentielle Variable in der „generativen Steuerinstanz“ des Improvisierens aufbereitet. Ein Modell soll zeigen, dass musikalische Affizierungen von einem Improvisator nicht nur gezielt erzeugbar sind, sondern dass die echtzeitlich generierten musikalischen Erzeugnisse affektregulierend wirken und dadurch den Erzeugungsprozess wesentlich beeinflussen können. Improvisatoren versuchen demnach adäquat, innere (und durch Übertragung auch fremde) Erlebniszustände in Echtzeit musikalisch hervorzurufen und zu modifizieren. Es wird dargelegt, dass ein wichtiger Teil der Faszination am Improvisieren – und mitunter hohen intrinsischen Übemotivation – auf die potentiell intensiv und als lohnenswert erlebbare musikalische Affektregulierung rückführbar sein könnte. Insgesamt soll diese Arbeit neue Impulse für (empirische) Auseinandersetzungen mit dem musikalischen Improvisieren bieten, welche näher an den mentalen und affektiven Wahrnehmungsqualitäten ansetzen. Darüber hinaus können didaktische Impulse für die Improvisationspädagogik abgeleitet werden.