Abstract (deu)
Gegenstand der Untersuchung ist die Verhütungspraxis von Frauen. Es wird der Frage nachgegangen, welche kollektiven Bedeutungsmuster diese Praxis strukturieren und inwiefern sich dabei Unterschiede entlang bildungsmilieuspezifischer Erfahrungskontexte zeigen.
Den Ausgangspunkt für diese Fragestellungen bildet die Unzulänglichkeit aktueller medizinischer und sexualpädagogischer Erklärungsversuche, die zumeist auf individuelle Faktoren beschränkt bleiben. Meistens werden Persönlichkeitsmerkmale der Frau und ein Defizit an faktischem Wissen als Ursachen für die als zu hoch geltende Zahl ungeplanter Schwangerschaften in Betracht gezogen – und das nicht selten mit einem belehrenden und anklagenden Gestus jenen Frauen gegenüber, die ihr Verhütungshandeln nicht entlang der als rational und korrekt geltenden, konsequenten Anwendung wirksamer Verhütungsmethoden orientieren.
Die vorliegende Arbeit versteht sich als Anstoß zur Reflexion gegenwärtiger medizinischer und sexualpädagogischer Praxis, indem sie insbesondere der Kontextgebundenheit des Verhütungshandelns Rechnung trägt. Eine praxeologisch fundierte kulturpsychologische Perspektive bezieht den sozialen Entstehungszusammenhang von Handlungen mit ein und legt eine Haltung jenseits der Beurteilung von Verhütungsweisen nach normativen Maßstäben nahe.
Die Materialgrundlage bilden Gruppendiskussionen mit Frauen. Die Auswertung erfolgte mit der dokumentarischen Methode, einem Interpretationsverfahren der rekonstruktiven Sozialforschung, mit dem ein Zugang zu den impliziten Wissensbestände und überindividuellen handlungsleitenden Bedeutungsstrukturen ermöglicht wurde.
Die Ergebnisse zeigen, dass Verhütung ein wichtiges Symbol zur Aushandlung von Geschlechterverhältnissen und auch zur Bestimmung von Nähe- und Distanzverhältnissen zu Partnern darstellt und damit in seiner Bedeutung weit über den Schutz vor einer Schwangerschaft oder einer Krankheit hinausgeht. Des Weiteren erweist sich die Orientierung am Ideal einer rationalen Wahl vs. an der Schicksalshaftigkeit des Lebens als maßgeblich für das Verhütungshandeln. Darüber hinaus hat sich herausgestellt, dass Hormonen nicht nur als Gefährdung von Gesundheit, sondern auch als Bedrohung körperlicher Authentizität wesentliche handlungsleitende Bedeutung zukommt.
Auf Basis dieser Befunde lässt sich festhalten, dass Verhütungshandeln nicht alleine auf faktisches Wissen und/oder Persönlichkeitsmerkmale zurückzuführen ist, sondern als soziale Praxis in ein vielfältiges Netz kollektiver Orientierungen eingebettet ist. Dessen Einbeziehung leistet einen maßgeblichen Beitrag zu einem vertiefenden Verständnis des Verhütungshandelns von Frauen.