Abstract (deu)
Kurzfassung
Das Thema dieser Arbeit war, den literarisch-philosophischen Stil des Schreibens von Günther Anders vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt her zu untersuchen, und zwar anhand von ausgewählten Texten aus seinen Tagebüchern. Die Tagebuchaufzeichnungen haben sich als dafür geeignet erwiesen, weil Anders sie weder als reine bekenntnisliterarische Form noch als reine philosophische Reflexionen verstanden haben will. Daher galt es als Herausforderung, zu zeigen, wie sich Anders’ poetische Sprache, seine Kunst der dramatischen Darstellung, seine Metaphorik, verbunden mit seinen philosophischen Grundgedanken, ausgerechnet in dieser Form offenbaren. Außerdem lässt sich das Tagebuchschreiben als solches bzw. die häufige Verwendung von Tagebuchnotizen in vielen seiner Werke schon an sich als ein Merkmal von Anders’ Schreibstil bestimmen.
Als eine der Charakteristika von Anders’ Schreiben wird seine Beschäftigung mit dem Thema Exil genannt. Seine Exilerfahrung nennt Anders selbst entscheidend, sowohl für die meisten seiner philosophischen Einsichten und Thesen, als auch für seine schriftstellerischen Neigungen. Die Exilzeit bezeichnete er als Lehrmeisterin. Über das Schreiben im Exil äußerte er sich am prägnantesten in seinem persönlich gefärbten Essay Post festum.
Anders zählt zu den Philosophen mit ausgeprägten künstlerischen Begabungen, so dass man bei der Lektüre seiner Schriften in gleicher Weise ästhetisch und intellektuell berührt ist. Daher ist bei Anders eine Grenzziehung zwischen Philosophie und Literatur kaum möglich. In seinen philosophischen Arbeiten werden Gedichte, Fabeln und Aphorismen zu gleichberechtigten Elementen der Analyse. Er bezeichnet die Verwendung verschiedener literarischer Genres als Mittel zur Überbringung seiner gesellschaftlich-politischen Botschaften, so dass seine Figuren als Ideenträger und Sprachrohre auftreten. Neben seiner hoch ausgeprägten bildlich-metaphorischen Sprache gilt als besonders charakteristisch für Anders, dass er seine Thesen oft in Form von fiktiven Dialogen entwickelt oder dass er für ihn wichtige repräsentative Situationen als Minidramen, eindrucks- und nicht selten humorvoll, inszeniert. Anders’ häufige Berufung auf das imaginäre mythische Land Molussien, das ein reicher Fundus darstellt, aus dem er seine Metaphern, Maximen und Geschichten schöpft, wurde in der Arbeit ebenfalls dokumentiert.
Den Kern der Arbeit stellt die Analyse der Tagebuchaufzeichnung Die beweinte Zukunft. Diese zeigte sich als ein ausgezeichnetes Textbeispiel, das nochmals alle bisher angeführten Befunde in Sachen Anders’ Lieblingsstilmittel bestätigen konnte. Anders’ Rolle im Erzählverlauf ist eine dreifache. Er ist der Erzählende bzw. der Beobachtende, erscheint aber auch als persona dramatis, also als Betroffener, und drittens als er selbst, als philosophisch Denkender. Gerade vor dem Hintergrund dieses Wettbewerbs zwischen dem Philosophen und dem Literaten, der für beide stets siegreich endet und sich in einer Symbiose auflöst, entsteht eine besondere Qualität der Anderschen Texte.
Zum Schluss wurde die kurze Allegorie Der Überfall analysiert, die im Unterschied zu anderen Tagebuchaufzeichnungen von Anders, einen tief persönlichen Zustand des Autors schildert. Hier beschreibt Anders auf erschütternde Weise ein persönliches Trauma, das er als Überfall auf sein in die Zukunft strebendes Schiff in einem Atemzug darstellt.
Die Arbeit hat gezeigt, wie sich Anders mitten in seiner wissenschaftlichen Argumentation literarischer Formen und Stilmittel bedient. Damit will er nicht nur die Wissenschaftlichkeit und seine eigene Glaubwürdigkeit ironisieren, sondern vielmehr seiner Überzeugung folgen, dass der Witz und die Kunst seinen Ideen mehr Glaubwürdigkeit verleihen können als die trockene Wissenschaft.