Abstract (deu)
Die Masterarbeit behandelt auf wissenschaftstheoretischer Grundlage Marvin Harris´ Kulturmaterialismus und Gregory Batesons Kybernetik, um sich einer systemtheoretischen Anthropologie anzunähern. Im Speziellen wird dabei auf die Erklärung von Religion und dem Heiligen eingegangen, um einen konkreten Vergleich zu analysieren. In dieser Analyse werden die wissenschaftstheoretischen Prämissen und die Reichweite der Erklärungen beider Herangehensweisen gegenübergestellt und eine mögliche Kombination erarbeitet. Weitere systemrelevante, ergänzende und verbindende Herangehensweisen kybernetischer und kulturmaterialistischer Vorgehen werden aufgezeigt, um Systeme, Gruppenselektion und Rückkopplungen zu thematisieren:
Marvin Harris, der Begründer des Kulturmaterialismus, erklärt Religion und, wie beispielsweise aufgezeigt, die heilige Kuh anhand eines infrastrukturellen Determinismus. Dieser geht davon aus, dass kulturelle Phänomene praktische Notwendigkeiten ökologischer, demografischer und ökonomischer Bedingungen sind und durch diese Bedingungen rational erklärt werden können. Am Beispiel der heiligen Kuh macht er dies deutlich, worauf er sowohl viel kritisiert als auch mit weiteren Daten bestätigt worden ist. Im Zuge dieser Arbeit werden nach wie vor relevante und neue Kritikpunkte identifiziert. Beispielsweise sind die mangelhaften Rückkopplungsmechanismen von politischen und menschlichen Einflüssen auf infrastrukturelle Determinanten und letztendlich das Argument, dass er eine Nicht-Schlachtung der Kühe erklären kann, aber nicht eine Heiligkeit, anzuführen. Daher vermag der Kulturmaterialismus weitgehend die materiellen Erscheinungen von Bedeutungen zu erklären, aber nicht die Bedeutung, die Menschen diesen beimessen.
Gregory Bateson, ein Vertreter und Mitgestalter der Kybernetik, argumentiert für die qualitative Auseinandersetzung mit Informationen. Indem er auf Evolution und die Entwicklung von Religion eingeht, erklärt er die Notwendigkeit der Einheit von Geist und Natur. Kausale Zusammenhänge sind für Unbelebtes zu verwenden und kybernetische Zusammenhänge für Lebendiges. Lebendiges beruht auf Veränderungsprozesse, die mit Lernen und Geistigem einhergehen. Mit diesen Prämissen verfolgt Bateson die Logik von konsistenten Ideen. Einige Ideen, sowie das Spiel, die Fantasie und religiöse Bedeutungen sind nicht an eine reale Umwelt gebunden. Ihre Erhaltung wird durch die Isolierung von blasphemischen und häretischen Einflüssen gesichert. Die Heiligkeit bzw. Heiligung ist dabei die unhinterfragte Funktion der Erhaltung der Konsistenz der Ideen. Somit kann Bateson auf abstrakte Weise das Heilige erklären, aber nicht die Heiligsprechung von konkreten Begebenheiten.
In der wissenschaftstheoretischen Analyse und im Vergleich geht unter anderem hervor, dass die Bestimmung kausaler Zusammenhänge kultureller Erscheinungen, welche der Kulturmaterialismus untersucht, nur dann bestehen kann, wenn dabei infrastrukturelle Bedingungen nicht erklärt und als gegeben angenommen werden. Kybernetische Zusammenhänge sind dann relevant, wenn Veränderungsprozesse auf allen Ebenen der Untersuchung erklärt werden, Information und deren Bedeutung miteinbezogen und somit Rückkopplungen notwendig werden.
Roy Rappaports, Mark Pagels und Walter Dostals Modelle werden als weiterführende Gedanken angeführt, um der Kritik des sehr hohen Abstraktionsgrades entgegenzukommen und der Verbindung der analysierten Ansätze anzunähern. Außerdem werden systemrelevante Definitionen gegeben, um das Verständnis von systemtheoretischen Zusammenhängen zu vertiefen. Eine mögliche Einbindung von Batesons, Pagels und Rappaports Herangehensweise zur Erklärung der Heiligkeit der Kuh wird zum Schluss gegeben.