Abstract (deu)
Die vorliegende Arbeit zum Thema „Die Stimme der Frau in der Chanson des 15. Jahrhunderts“ behandelt zwei zentrale Fragen: Einerseits liegt das Augenmerk auf den verschiedenen Formen weiblicher Subjektivität, die in den Chanson-Texten, welche aus der Perspektive eines weiblichen lyrischen Ichs formuliert sind, artikuliert werden. Damit zusammenhängend wird außerdem die Frage aufgeworfen, ob sich diese Formen weiblicher Subjektivität möglicherweise auf musikalischer Ebene in Form von Modifikationen der kontrapunktischen Konventionen der Chanson-Kompositionen im 15. Jahrhundert ausgewirkt haben könnten.
Als Basis für diese Überlegungen dient die Untersuchung von Vincenzo Borghetti in seinem Aufsatz, „Fors seulement l’actente que je meure: Ockeghem’s Rondeau and the gendered rhetoric of grief”, in dem Borghetti zum Schluss kommt, dass sich das weibliche lyrische Ich im Rondeau „Fors seulement l’actente que je meure“ auf die kompositorischen Maßnahmen Johannes Ockeghems in Form von „Manipulationen“ der gängigen kompositorischen Konventionen ausgewirkt hat. Diese Hypothese Borghettis' wird in der vorliegenden Arbeit an vier weiteren Beispielen durch genaue textliche und musikalische Analysen überprüft, wobei zudem sowohl musiktheoretische bzw. musikgeschichtliche, kulturgeschichtliche als auch geschlechtergeschichtliche Hintergründe in die Überlegungen mit einfließen.
Nach den Analysen zeigte sich, dass alle Texte der ausgewählten Beispiele dieselben Topoi, nämlich insbesondere Todessehnsucht, Schmerz und Hoffnungslosigkeit behandeln, sowie nahezu identische Formen weiblicher Identität übermitteln. Des Weiteren konnte auf musikanalytischer Ebene festgestellt werden, dass in keinen der ausgewählten Beispielen eine derart konsequente Manipulation der kompositorischen Konventionen wie im Rondeau „Fors seulement“ vorzufinden ist.