Abstract (deu)
Arbeitsmobilität – insbesondere das Fernpendeln in den russländischen Norden – wurde in ruralen Regionen Russlands wie auch in der östlichen Uralregion (Republik Baschkortostan) seit den 1990er-Jahren zu einer wesentlichen Erwerbsstrategie, um weiterhin im Dorf zu leben. In der Mobilitätsforschung, insbesondere der Migrationsforschung, wird argumentiert, dass Lohnunterschiede diese Mobilitätsprozesse auslösen. Meine Forschung zeigt, dass die Lohnunterschiede zu gering sind, um die hohe Mobilitätsrate ausreichend erklären zu können. Daraus ergibt sich die Frage, warum Menschen in den Norden Russlands fernpendeln, wenn dies keine substantiellen ökonomischen Vorteile mit sich bringt? Die vorliegende anthropologische Dissertation füllt eine Lücke in der Forschung zum Fernpendeln, indem der Fokus auf die Herkunftsregion von FernpendlerInnen gelegt wird und die Konsequenzen der Arbeitsmobilität für die dörfliche Gemeinschaft sowie für die AkteurInnen und deren Familien analysiert werden.
Diese Dissertation basiert auf einer insgesamt zwölfmonatigen (2011–2015) ethnografischen Feldforschung in vorwiegend baschkirischen Dorfgemeinschaften in der östlichen Uralregion. Die Arbeit ist theoretisch eingebettet in Themen zur Arbeitsmobilitätsforschung – insbesondere dem Fernpendeln in der Rohstoffindustrie –, Konstitution von Handlungsfeldern durch materielle und immaterielle Ressourcen, sozialen Mobilität und Differenz, Konzeption des ruralen Raumes und der damit verbundenen marginalen Verfasstheit.
Die Ergebnisse der Forschung zeigen, dass die Zugangsmöglichkeiten zu materiellen und immateriellen Ressourcen darüber entscheiden, ob eine Person das Fernpendeln aufnimmt oder vor Ort einer Beschäftigung nachgeht. Soziale Differenz manifestiert sich innerhalb der Dorfgemeinschaft an der Gesamtheit der möglichen Handlungsoptionen, die eine Person hat. Anhand der divergenten Konzeptualisierung von Arbeitsmobilität – einerseits als Handlungsoption, welche das soziale Fortkommen der Familie beschleunigen kann, andererseits als Zeichen der Marginalität des Dorfes, wenn Menschen nicht mehr am Wohnort beschäftigt sind – zeigt sich die Notwendigkeit, Arbeitsmobilität in ihrer Gesamtheit zu erfassen.