Abstract (deu)
Die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Europa als Gemeinschaft stellen einen prominenten europäischen Diskurs dar, der eine Vielzahl von sozialwissenschaftlicher Literatur, darunter im Feld der Wissenschafts- und Technikforschung, hervorgebracht hat. Befasst man sich mit der Entstehungsgeschichte der Europäischen Union, stellt man fest, dass Wissenschaft und Technologie eine einflussreiche Rolle zukommt, als auch Europa die wissenschaftliche Domäne, ihre Struktur, Methoden und Mitglieder politisch wie kulturell stark beeinflusst hat.
Somit stellt sich die spannende Frage nach dem Grad der gegenseitigen Einflussnahme und des Formens zwischen Wissenschaft einerseits und Europa als Gemeinschaft andererseits. Zieht man weiterhin viel beachtete politische Prozesse und Entscheidungen in Betracht, stellt sich zudem die Frage, ob hierdurch Wissenschaft in Europa, Europäische Wissenschaft oder sogar ein wissenschaftliches Europa gefördert werden soll. Die Beantwortung dieser Fragen ist vermutlich nicht ohne Berücksichtigung weitreichender Veränderungen im Wissenschaftssystem, das zunehmend offener und durchlässiger für gesellschaftliche Elemente und Akteure wird, möglich. Eine derartige Veränderung des Forschungssystems führt allerdings auch zu einer entsprechenden Diversifizierung von Europa, ein Prozess, der ebenfalls Aufmerksamkeit verdient.
Es bestehen zahlreiche laufende Ansätze zur Erforschung der komplexen und vielschichtigen Prozesse von Koproduktion von Europäischer Wissenschaft und Europäischer Gesellschaft. Diese Dissertation möchte einen Beitrag zu diesen Arbeiten leisten, indem sie die Analyse dieser Prozesse von Koproduktion in das Euroscience Open Forum (ESOF), eine 2004 eingeführte europäische Wissenschaftskonferenz, verortet. Es wird argumentiert, dass ESOF, das hier die empirische Fallstudie darstellt, einen Raum schafft, in dem die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Europa in neuen Weisen geformt und ausgebaut werden können. In diesem Raum werden die verschiedenen Akteure, die in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Sphäre sowie an den jeweiligen Schnittstellen und Grenzen aktiv sind, zu so genannten ‚innerwissenschaftlichen Öffentlichkeiten‘ performiert. Somit leistet ESOF einen Beitrag zur Konstruktion und Performanz von Europäischen Wissensgesellschaften.
Meine Analyse konzentriert sich auf die Konstellationen von Akteuren, die im Rahmen von ESOF entstehen und aktiv werden, sowie auf die ebenfalls entstehenden Räume für Interaktion und Austausch zu gesellschaftlichen, technologischen und forschungspolitischen Themen. Ich greife dabei fünf Gruppen von Akteuren heraus und analysiere ihre Eigenschaften sowie die Rollen, die sie im Rahmen der ersten drei ESOF-Treffen erfüllen. Diese sind etablierte Forschende, junge Forschende, JournalistInnen und KommunikatorInnen, PolitikerInnen und AdministratorInnen, sowie ‚knowledge brokers‘. Die Analyse fußt auf umfassendem empirischen Material aus ESOF2004, ESOF2006 und ESOF2008. Ergänzt wird dieses Material durch Interviews mit Entscheidungsträgern, die besonderen Einblick in die Struktur und Zielsetzung von ESOF gewähren.