Abstract (deu)
Als körperorientierte Kampf- und Sprachperformance zwischen Karneval, Sportveranstaltung und (Improvisations-)Theater besteht die Anziehungskraft des multimedialen Produkts Professional Wrestling (in Form von Live-Shows, TV-Live-Übertragungen und Aufzeichnungen) aus einer prekären Balance zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Während die Narrative des Wrestling nach wie vor einen Anspruch auf wirklichkeitsbedeutenden Referenzcharakter behaupten, sind seit den späten 1980ern die Hintergründe und Produktionsmodi der Inszenierungen dieser Entertainmentbranche zunehmend transparenter gemacht und seit den 1990ern auch in zahlreichen Autobiografien von Performerinnen und Performern thematisiert worden.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Darstellungen der Geschichte, Strukturen, Inhalte, Modi sowie die sozialen und ökonomischen Hintergründe des Professional Wrestling in dem ausgewählten Corpus von 60 US-amerikanischen Wrestling-Autobiografien zu analysieren und damit die Bedeutung dieser Texte für die sich in Entwicklung befindliche öffentliche Erinnerungskultur des Professional Wrestling herauszuarbeiten.
Die Wrestling-Autobiografie an sich ist bislang noch nicht Gegenstand der Forschung geworden; in Bezug auf das Wrestling selbst kann sich die Arbeit aber auf eine überschaubare Anzahl von wissenschaftlichen Analysen stützen. Im Sinne der Autobiografie-Forschung kann diese Arbeit auf umfangreiches Material zurückgreifen, welches Autobiografien etwa als literarische Texte, Darstellungen der Welt des Sports, als „Selbsterzählung“ vor allem in Bezug auf körperliches Erleben sowie als Beitrag zu kollektivem Gedächtnis und Erinnerungskultur behandelt.
Als „Leittext“ des Corpus US-amerikanischer Wrestling-Autobiografien ist Mick Foleys Have a nice day! A Tale of Blood and Sweatsocks (1999) aufzufassen, der als Bestseller-Katalysator eine Welle an Wrestling-Autobiografien auslöste. Die Texte kontrastieren unterschiedliche Lebensentwürfe, die auf verschiedene Weisen mit dem Professional Wrestling verknüpft sind – vom Familiengeschäft dritter Generation bis hin zum Quereinsteiger aus anderen sportlichen Bereichen. Das erste Kapitel dieser Arbeit bereitet dieser Analyse den Boden, indem bestehende Forschungen zu Strukturen, Inhalten und Geschichte des Wrestling ausgewertet, in einer Synthese zusammengeführt und weiter-entwickelt werden. Ergebnis dieses Kapitels ist eine Darstellung der Definitionen, Fachbegriffe, AktantInnen, ProtagonistInnen, Produkte und Geschichte des Professional Wrestling, seiner kulturwissenschaftlich besonders herausfordernden und für seine Selbstzeugnisse relevanten Themen, und seiner Rezeption aus ästhetischen wie ethischen Perspektiven.
Das zweite Kapitel dieser Arbeit erstellt den notwendigen theoretischen Apparat, um die Untersuchung der spezifischen Quellenform Autobiografie zu ermöglichen. In diesem Kapitel wird das grundlegende gattungstheoretische Wissen erarbeitet, um die Herausforderungen des Umgangs mit Texten dieser Arbeit zu veranschaulichen und aus dem aktuellen Forschungsdiskurs methodisches Rüstzeug für eine Auseinandersetzung mit Autobiografien zu gewinnen. Nebst grundlegenden Texten zu Form und Funktion bestimmt dieses Kapitel der Gegensatz zwischen auf der einen Seite post-strukturalistischen Positionen, die einem unreflektierten Glauben an die Referentialität autobiografischer Texte auf außertextuelle Begebenheiten (um damit der Möglichkeit einer Abbildung konkreter biografischer Realität) skeptisch gegenüber stehen, und auf der anderen Seite dem Umstand, dass Selbstzeugnisse oftmals die einzigen Quellen sind, die über die sozialgeschichtlichen Lebensbedingungen und Diskurse von Individuen, Gruppen oder Schichten Aufschluss geben können.
Das dritte Kapitel widmet sich der Analyse der Autobiografien als Texte und erarbeitet Aussagen zu deren Kontexten, Strukturen, Inhalten, Erzählverfahren und Funktionsweisen, etwa in Rückgriff auf Theorien zur Ausbildung eines kollektiven Gedächtnisses und von Erinnerungskulturen. Die Bedingungen, unter denen eine Person in der Lage ist, durch eine Autobiografie zu diesem Diskurs beizutragen, werden ebenso analysiert wie die Konstitution von AutorIn und ErzählerIn innerhalb der autobiografischen Texte. Darüber hinaus werden leitende Prinzipien der Form und Struktur von Professional Wrestling-Autobiografien erarbeitet, die Rolle von Inter- bzw. Transtextualität in den Autobiografien geprüft und die inhaltlichen Tendenzen und Ziele der Texte analysiert. Zudem werden die in den Autobiografien enthaltenen Informationen aufbereitet, die für eine Sozialgeschichte des Wrestling dienlich sind, und die Mechanismen, Funktionen und Diskurse dieser Subkultur aus der individuellen Sicht der WrestlerInnen heraus dargestellt. In der Summe stellt diese Arbeit eine erste „Kulturgeschichte des Professional Wrestling“ dar.