Abstract (deu)
Trotz der großen wirtschaftlichen Bedeutung von teilkristallinen Polymeren ist das Wissen über die wesentlichen mikrostrukturellen Prozesse, die für die mechanischen Eigenschaften verantwortlich sind, vergleichsweise gering. Oberhalb der Glasübergangstemperatur ist für die makroskopischen Eigenschaften vor allem die Festigkeit der kristallinen Phase entscheidend. Dabei spielen vor allem lineare Gitterdefekte, wie Versetzungen, eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu Metallen ist die Untersuchung von Versetzungen in teilkristallinen Polymeren schwierig, da nur sehr wenige Methoden mit zum Teil wesentlichen Einschränkungen zur Verfügung stehen.
Daher war es das Ziel dieser Dissertation, neue Charakterisierungsmethoden für Versetzungen in teilkristallinen Polymeren zu etablieren. In den letzten Jahren wurde eine spezielle Röntgendiffraktionsmethode entwickelt (Multi-reflection X-ray Profile Analysis (MXPA)), mit der die Dichte, die Anordnung und der Typ der Versetzung, und daneben auch die Kristallitgrösse bestimmt werden kann. Die erste Aufgabe der vorliegenden Dissertation war es, die MXPA Methode erstmals für die Anwendung an teilkristallinen Polymeren zu adaptieren. Zu diesem Zweck wurden spezielle Algorithmen geschaffen, die es erlauben, sich trotz des durch die Komplexität der polymertypischen Kristallsysteme signifikant erweiterten Lösungsraums rasch an das globale Minimum anzunähern. Damit konnte erstmalig an Polypropylen (PP) gezeigt werden, dass mit zunehmender plastischer Verformung die Versetzungsdichte von etwa 10^15 auf 10^16 m^-2ansteigt, womit die grosse Bedeutung der Versetzungen für die plastische Deformation von teilkristallinen Polymeren bestätigt wurde.
Ein wesentlicher Vorteil der MXPA ist die Möglichkeit, sie auch für in situ Röntgenbeugungsmessungen während der Deformation anwenden zu können. Im Rahmen der Dissertation wurden in situ Kompressions- und Entlastungsversuche an PP mit Synchrotron-Strahlung durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Versetzungen bei Entlastung zwar annihilieren, aber dass bereits in unverformten Proben genügend viele thermisch aktivierbare Versetzungen existieren, die für die plastische Verformung mobilisiert werden können. Erst ab Verformungen weit über der Streckgrenze müssen zusätzliche Versetzungen generiert werden.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die mechanischen Eigenschaften von kristallinen Materialien ist die Kinetik der Versetzungen, welche in teilkristallinen Polymeren bisher ungeklärt war. Die bisher zur Untersuchung dieser Kinetik durchgeführten Nanoindentierungs-Kriechexperimente erscheinen wegen der in Ort und Zeit variierenden Spannungen, des kleinen Messvolumens und der unkontrollierbaren plastischen Verformung problematisch,
weswegen in dieser Dissertation versucht wurde, eine alternative Testmethode auf Basis eines Torsions-Rheometers zu entwickeln, die all diese Nachteile der Nanoindentierung vermeidet. Somit wird eine eindeutige Trennung der Deformation in der amorphen von der Deformation in der kristallinen Phase gewährleistet und damit die direkte Bestimmung der physikalischen Versetzungsmodellparameter ermöglicht. Durch umfangreiche Experimente mit Polyethylen (PE-HD) bei unterschiedlichen Temperaturen und Belastungen konnte die Aktivierungsenthalpie für die Generierung und Mobilisierung von Versetzungen mit 0.59
eV bestimmt werden. Dabei konnten bereits bei Spannungen < 1 % der Streckgrenze Versetzungsbewegungen in Form von Versetzungslawinen nachgewiesen werden.