Abstract (deu)
Rassistische Hassrede ist fester Bestandteil der seit dem Jahr 2015 in Deutschland anhaltenden „Flüchtlingskrise“, zeigt sich vornehmlich in Form von Meldungen und Kommentaren in dem sozialen Netzwerk Facebook und richtet sich gegen ethnische Minderheiten, Asylbewerber/-innen und Migranten/Migrantinnen, meist verknüpft mit einer verschwörungstheoretischen Abneigung gegenüber etablierten Medien und der Politik.
Die Arbeit untersucht dieses aktuelle mediale Phänomen der Hasspostings aus einer diskursanalytischen Perspektive; die Entstehung von rassistischen Hassbeiträgen auf Facebook wird hinsichtlich des internen Zusammenspiels von politischer, affektiver und medialer Gouvernementalität des gegenwärtigen Neoliberalismus reflektiert und analysiert zudem die daraus entstehenden Machtpotenziale bürgerlicher Partizipation gegenüber externen machtpolitischen Strategien der ökonomischen und der staatlichen Einflussnahme.
Auf gesellschaftspolitischer Ebene erscheinen Hassbeiträge als Resultat einer selbstautorisierten Bürger/-innenbeteiligung, die sich durch die gouvernementale Anrufung des Staates zur politischen Partizipation bedingt und in den Kontext einer generellen Empowerment-Maxime der Gegenwart eingeordnet werden kann. Der rassistische Hass wird zudem zur politischen Ressource in Bezug auf eine emotionale Selbstführung und verortet sich als Negativbeispiel in die aktuelle Entwicklung einer politischen Emotionalisierung im „postfaktischen“ Zeitalter. Hass wird sowohl als Ausgangspunkt als auch als Instrument einer affektiven Selbstermächtigung des Subjekts ersichtlich – Eigenverantwortung und Beteiligung im Modus der Affektion beschreiben somit die gouvernementalen Regierungspraktiken der Gegenwart, die auf politischer Ebene das Verhältnis von Bürgern/Bürgerinnen, Staat und Politik in der neoliberalen Demokratie grundlegend transformieren.
Aus medialer Hinsicht können Hasspostings als Effekte angesehen werden, die sich aus dem korrelativen Fremd- und Selbstführungsverhältnis zwischen Technologie und Mensch im gouvernementalen System sozialer Netzwerken ergeben; als Resultat medialer Verzerrungen durch Vernetzungstechnologie, nutzergenerierte Inhalte und Kommentarfunktionen auf Basis algorithmischer Filterverfahren, die zu einer fragmentierten postmodernen Öffentlichkeit führen und zu personalisierenden Wirklichkeitskonstitutionen im virtuellen Raum, die sich im politischen Nutzungskontext vor allem produktiv auf die Hervorbringung von Extremansichten auswirken.
Die Entstehung moderner Hassrede ergibt sich somit als Folge beziehungsreicher Gouvernementalitäten und demokratischer Veränderungen der Gegenwart. Zudem verdeutlichen Hasspostings eine neue Form und neue Möglichkeiten bürgerlicher Partizipationsmacht, die ein derartiges Ausmaß angenommen hat, dass sie den Staat in Konflikt mit dem Internetkonzern Facebook bringt und zudem machtpolitische Maßnahmen der Bundesregierung in Form von Verfassungsänderung erfordert und damit insgesamt als Auslöser für die Neuregelung demokratischer Grundlagen angesehen werden kann – Hasspostings auf Facebook markieren exemplarisch das Ungleichgewicht zwischen politischen, bürgerlichen und ökonomischen Machtmechanismen der Selbst- und Fremdführung in der Gegenwartsgesellschaft und machen die Veränderung der Demokratie in Zeiten neoliberaler und digitaler Transformationen ersichtlich.