Abstract (deu)
Im Kontext baulich-sozialer Erneuerungs- und Umstrukturierungsprozesse ist es im dichtbebauten Stadtkern Wiens in den letzten Jahrzehnten vielfach zur Errichtung von Dachwohnungen, vornehmlich auf gründerzeitlichen („Altbau-“)Wohnhäusern gekommen. Dieses Phänomen wird zwar in der öffentlichen Berichterstattung und in stadtpolitischen Debatten thematisiert, ist jedoch aus politökonomischer und soziologischer Perspektive bisher spärlich untersucht worden. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf eine im Winter 2015/2016 durchgeführte Fragebogenbefragung von Bewohner/innen einer repräsentativen Stichprobe von Dachwohnungen innerhalb eines begrenzten Untersuchungsgebiets, dem Volkertviertel im zweiten Bezirk Wiens (Leopoldstadt). Anhand von Daten zu den Qualitäten der Wohnungen wie zur sozialen Position und den Präferenzen ihrer Bewohner/innen werden somit einerseits Elemente einer Soziologie des „Wohnens am Dach“ zusammengetragen, die nach der gesellschaftlichen und historischen Bestimmtheit dieser Form des Wohnens fragt; andererseits wird die Dynamik der Erschließung und Besiedelung der Dächer innerhalb einer spezifischen sozialräumlichen Konstellation untersucht, nämlich jener eines gründerzeitlichen Rasterviertels mit unterdurchschnittlichem Status und „Basis-Wohnqualität“. Die Analysen zeigen, dass die „urbane Dachwohnung“ in Wien aus der privaten Investitionstätigkeit im warenförmigen Altbau resultiert und ihre typischen Bewohner/innen unter jenen höheren Berufsschichten findet, die durch die Spezialisierung der städtischen Ökonomie auf wissensintensive Aktivitäten zu den wachsenden Segmenten innerhalb der Stadtbevölkerung gehören. Im betrachteten Gründerzeitviertel hat der Dachausbau innerhalb kürzester Zeit langsamere Prozesse sozialstrukturellen Wandels überlagert und eine neue „Oberschicht“ urbanen Kleinbürgertums erzeugt, das allerdings noch vielfach in Mobilität begriffen ist. Ein hoher Anteil an Miethaushalten, Leerstand und Fluktuation innerhalb der erhobenen Dachgeschoße, aber auch das junge Alter der dort wohnenden Familien sowie ihre gespaltene Einschätzung zur Qualität ihres Wohnumfeldes kennzeichnen einen unabgeschlossenen bzw. unsicheren Verbürgerlichungsprozess: Der untersuchte Stadtteil fungiert nach wie vor in erhöhtem Grad als Arbeiter/innenviertel bzw. als „Ankunftsort“ (Arrival Space) für Immigrant/innen und zieht dadurch Strategien zur Bewältigung kleinräumiger „sozialer Durchmischung“ nach sich.