Abstract (deu)
Landgrabbing ist ein weltweites Phänomen, so auch in Deutschland. Anders als vorwiegend thematisiert und wissenschaftlich erarbeitet, handelt es sich hier um den großflächigen Abbau von Braunkohle eines ausländischen Konzerns und nicht um die Akquirierung von Agrarland, wie aus afrikanischen, südostasiatischen oder lateinamerikanischen Ländern übermittelt wird. Anders ist auch die Art der Landnahme; neben einer imperialen, postkolonialistischen Landnahme existiert, so argumentiere ich, eine hegemoniale Form innerhalb eines wirtschaftspolitischen, sozial reproduzierten Machtgefüges, durch welches eine Dichotomie von gewinnenden und verlierenden Parteien dekonstruiert wird. Hegemoniale Landnahme bedeutet im Lausitzer Kontext etwa, dass kaum eindeutige Gegenstimmen zu Umsiedlungen oder Braunkohlegewinnung gehört wurden. Vielmehr sind es oszillierende Stimmen zwischen einem Pro und Contra. In einer wirtschaftsschwachen und stigmatisierten Region scheint die Bevölkerung aufgrund mangelnder Alternativen eher bereit zu sein, externe Faktoren (Umsiedlungen, Umweltzerstörung, teilweise geminderte Lebensstandards) der Braunkohleindustrie in Kauf zu nehmen. Zudem profitiert die Bevölkerung von der monostrukturellen und einzig stabilen Industrie in der Region (Schaffung von Arbeitsplätzen und Infrastruktur sowie allgemeine Aufmerksamkeit). Umsiedlungen werden von direkt Betroffenen (in fokussiertem Gebiet) tendenziell als traurige Notwendigkeit empfunden. Hegemoniales Landgrabbing wird also in einem Lebenskontext ermöglicht, der bereits seit Jahrzehnten von dessen Ursache geprägt ist: Braunkohle.
Ihre Allgegenwärtigkeit ist ebenso eine Besonderheit für die Region, wie die dort angesiedelte sorbische Minderheit, die um ihren Kulturerhalt kämpft. Es liegt nahe, dass bergbaubedingte Umsiedlungen Hauptursache für den kulturellen Zerfall der sorbischen Community ist. Jedoch ist sie von den selben regionalen Merkmalen geprägt, wie andere Bevölkerungsgruppen: Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Abwanderung als Folge. Hinzu kommt ihre interne teils geografische, sprachliche, religiöse, soziale Differenziertheit, die einen allgemeinen Zusammenhalt nicht zu gewähren scheint. 136 Dörfer der Lausitz (Region erstreckt sich über Brandenburg und Sachsen) wurden bereits zur Gänze bzw. zu einem Teil abgebrochen (vgl. Archiv verschwundener Orte, Horno). Insbesondere werden zwei Dörfer im Umsiedlungskontext untersucht. Beide sind sorbische Dörfer, eines in Brandenburg, das andere in Sachsen: Horno (sorb. Rogow) schrieb Protestgeschichte, indem sich die Dorfbevölkerung fast 15 Jahre gegen die Umsiedlung wehrte, diese zwar nicht aufhalten, jedoch in ihrer Umsetzung partizipieren konnte. Mühlrose (sorb. Miłoraz) steht kurz vor der Umsiedlung und protestiert nicht dagegen, im Gegenteil: die meisten Bewohner*innen sprechen sich dafür aus. Aus welchen Gründen diese Diskrepanz entstehen und wie die Region prinzipiell (aus einem „österreichischen“ Kontext heraus) verstanden werden kann, gehe ich in Form von ethnografischen Feldaufenthalten, Expert*inneninterviews, autofotografischen Rundgängen und einer Fotobuchinterpretation nach. Insgesamt wurde klar, dass die Lausitz eine hochkomplexe Region ist, der man sich intensiv (noch intensiver als ich es getan habe) widmen muss, um sie umfassend zu begreifen. Als Erklärungsansatz bediente ich mich Gramscis Hegemoniebegriff und praxeologischen Ansätzen, um die Prozesse in einen Kontext setzen zu können, der verdeutlicht, dass erst durch die Reproduktion von Praktiken Hegemonie ermöglicht wird, die wiederum das soziale Feld der Praktiken formt.