Abstract (deu)
Bis in die 1970er Jahre wurden in der Holocaustforschung geschlechtsspezifische Erfahrungen kaum zur Kenntnis genommen. Feministische Wissenschaftler_innen waren die ersten, die Kritik am Androzentrismus des Forschungsfeldes übten und bis dahin nur wenig beachtete Themen und Gruppen wie Frauen und queere Menschen in den Fokus des Interesses rückten. Ein Buch, das in der feministischen Holocaustforschung als Klassikerin gilt, ist die Auto/biographie Das Mädchenorchester in Auschwitz der Holocaustüberlebenden und ehemaligen Sängerin des Frauenorchesters in Auschwitz-Birkenau, Fania Fénelon. Es wurde von den anderen ehemaligen Mitgliedern jedoch missbilligt, weil es ihrer Meinung nach ein unzureichendes und falsches Bild des Frauenorchesters vermittle. Bisherige Forschungsarbeiten befassten sich überwiegend auch mit der Frage nach Fakt und Fiktion in dem Buch, in den wenigen mit genderzentriertem Schwerpunkt, werden lediglich exemplarisch Textstellen angeführt. Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt von der Geschlechtertheorie Judith Butlers ausgehend, den Text auf die Frage hin zu untersuchen, wie Gender an einem Ort wie Auschwitz dekonstruiert, aber auch performativ hergestellt werden konnte. Nicht nur wird der Fokus dabei auf unterschiedliche Ausrichtungen des sexuellen Begehrens gelegt, sondern es werden auch andere Identitätskategorien, nämlich Rasse, Nationalität und Klasse, in die Analyse einbezogen. Die dabei angewandte Methode ist zum einen die Erzähltextanalyse nach Gérard Genette und zum anderen ein Close Reading. Die Ergebnisse werden dabei in Bezug zu der Kritik gesetzt, die Fénelons Auto/biographie erfahren hat.