Abstract (deu)
In vielen Bereichen der Wissenschaft spielen Zufall und Wahrscheinlichkeit eine große Rolle. Insbesondere bei quantenmechanischen Phänomenen, wie zum Beispiel dem Zerfall eines instabilen Atomkerns, können lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen getroffen werden. Aus früheren Studien zum Beispiel aus der Mathematikdidaktik und Psychologie ist bekannt, dass Jugendliche Probleme haben, zufällige Prozesse zu verstehen. Diese Verständnisprobleme könnten einen Einfluss auf das Verständnis zufallsbasierter physikalischer Prozesse haben. Ausgangspunkt dieser Arbeit war die fachdidaktische Frage, ob Schülervorstellungen zu Wahrscheinlichkeit und Zufall auch im naturwissenschaftlichen Kontext zu finden sind. Diese Fragestellung wurde mit den folgenden Schritten untersucht:
Im Rahmen der didaktischen Rekonstruktion wird zunächst geklärt, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Wahrscheinlichkeitstheorie und Zufall verstehen und welche Themen in der Physik in Hinblick auf Wahrscheinlichkeitstheorie relevant sind. Dazu wurden zehn Physikerinnen und Physiker mittels Delphi-Studie befragt. Es zeigt sich, dass Zufall und Wahrscheinlichkeit in der Radioaktivität als relevant erachtet wird.
Zur Erhebung der Lernendenperspektive werden Schülervorstellungen zu Wahrscheinlichkeit und Zufall sowie zu ausgewählten Themen der Physik zusammengefasst. Um den Einfluss aus der Literatur bekannter Schülervorstellungen zum Zufall auf das Verständnis teilchenphysikalischer Prozesse zu untersuchen, wurden 33 Interviews mit 16 bis 19-jährigen deutschsprachigen Schülerinnen und Schüler durchgeführt und inhaltsbasiert analysiert. Es wurde entdeckt, dass Jugendliche aus der Literatur bekannte Schülervorstellungen zu Wahrscheinlichkeit und Zufall auch in naturwissenschaftlichen Kontexten, zum Beispiel zum Thema Radioaktivität, äußern.
Basierend auf diesen Ergebnissen entstand eine Lehr-Lern-Einheit zur Wahrscheinlichkeitstheorie im Kontext Radioaktivität. Es wurde erforscht, ob es gelingt, Radioaktivität mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie so einzuführen, dass Jugendliche den Zerfall eines instabilen Atomkerns verstehen und akzeptieren. Die Lehr-Lern-Einheit wurde im Rahmen fachdidaktischer Entwicklungsforschung in mehreren Zyklen erarbeitet. Insgesamt wurden drei Iteratio-nen durchgeführt und die jeweilige Version der Lehr-Lern-Einheit mit Hilfe der Akzeptanzbefragung evaluiert. Es wurden insgesamt 14 Einzelinterviews mit 17 bis 18-jährigen deutsch-sprachigen Jugendlichen durchgeführt. Alle Interviews wurden gefilmt, transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die finale Lehr-Lern-Einheit wurde von den teilnehmenden Jugendlichen als adäquat und plausibel erachtet.
Zusammenfassend zeigt das Dissertationsprojekt, dass Schülervorstellungen zu Wahrschein-lichkeit und Zufall im naturwissenschaftlichen Kontext eine Rolle spielen. Es wurde entdeckt, dass Jugendlichen aufgrund der Zufälligkeit des Zerfalls instabiler Atomkerne Verständnisprobleme aufweisen. Die Ergebnisse belegen die Machbarkeit einer angemessenen und plausiblen Einführung der Radioaktivität mittels Wahrscheinlichkeitstheorie.