Abstract (deu)
Geschlecht, besonders Geschlechterdifferenz, wird im Suiziddiskurs bereits seit Jahrzehnten problematisiert. Weniger und gesondert thematisiert werden Geschlechtsidentifikationen abseits des Zweigeschlechtermodells. Dies wird nicht nur anhand der Todesstatistik verhandelt, auch in der organisierten Suizidprävention ist eine Beschäftigung zu finden. Diese Arbeit konzentriert sich auf Geschlecht in der Suizidprävention, regional eingegrenzt auf die institutionalisierte, sekundäre Suizidprävention in Wien. Von Interesse ist, wie durch Geschlecht hindurch Professionelle, in Kontakt mit potenziell suizidgefährdeten Menschen, Suizidalität deuten, wie eine Einordnung als suizidale Subjekte stattfindet und so Geschlechtlichkeit in der Suizidpräventionspraxis verfestigt ist. Es wird mit einer wissenssoziologisch diskurstheoretischen Forschungsperspektive gearbeitet. Die Professionellen der Institutionen werden als Subjektivierungsinstanzen konzipiert. Untersuchungsgegenstand ist diskursives Geschlechterwissen und wie Deutungsmuster und Narrative prozessiert werden, damit wie Genderspezifika der Subjektpositionen (re-)produziert werden. Das Analysematerial stellen teilstrukturierte Expert*innen-Interviews dar, die mit Personen in suizidpräventiven Organisationen in Wien geführt wurden. Für die Analyse wurde die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA) nach Reiner Keller adaptiert herangezogen. Die Ergebnisse zeigen, dass Subjektpositionierungen, die einem Zweigeschlechtermodell folgen, durch dichotome Deutungs- und Erklärungsmuster vorherrschend bleiben. Geschlechtervielfalt, etwa in Form von Trans* oder Intergeschlechtlichkeit, wird anderen Wissens- und somit gesonderten Verantwortungsbereichen zugeordnet. Der Suizidpräventionsdiskurs hat eine leichte Verschiebung erfahren, da die Gruppe der Männer im Fokus der Expert*innen steht. Die Fokussierung wird durch Statistikwissen gerechtfertigt, besonderes Augenmerk liegt in der Intersektion von Geschlecht und Lebensalter. Anhand von Geschlechterwissen, zugeordnet zu Generationen, werden Männern sowie Frauen unterschiedliche Fähigkeiten und soziale Umfelder zugeschrieben, die auch die Einschätzung der Suizidgefährdung und Maßnahmen der Adressierung einer potenziell suizidgefährdeten Klientel beeinflussen. Diese Praktik erinnert an eine hierarchisch priorisierende Struktur, in der alte Männer ganz oben erscheinen. Frauen werden als soziale Unterstützung, oder in ihrem gelingenden Eingebunden-Sein in ein präventives Versorgungssystem, als selbstverständlich betrachtet. Geschlechtervielfalt erscheint in dieser Struktur geschlechtlich markiert oder unsichtbar. Die Ergebnisse zeigen auch, dass es mehr qualitative Forschung in diesem Bereich braucht, um Wissensbereiche zu erweitern und zu ergänzen.