Abstract (deu)
International betreiben eine zunehmende Zahl von ForscherInnen und PraktikerInnen therapeutische Interventionen unter Zuhilfenahme ‚neuer‘ Kommunikationsmedien. Die digitale Applikation von Psychotherapie, im Rahmen entsprechender Online-Programme und Apps, auf Basis verhaltenstherapeutischer Theorie und Methodik und mehr oder weniger (an-)geleitet durch Psychotherapeut- oder PsychologInnen, hat dementsprechend große Konjunktur. In der Verschaltung von Psychotherapie mit digitalen Technologien kommt es zu neuartigen Möglichkeiten der (Selbst-)Vermessung und der Modellierung von Handlungsräumen. Vor dem Hintergrund ökonomisch/kapitalistischer Interessen lässt sich dabei eine Veränderung der Intention und Praxis von Psychotherapie sichtbar machen, die sich gerade im Zuge non-kurativer Zielsetzungen bereits andeutet. Im Rahmen einer kritischen Dispositivanalyse, die auf der Metatheorie Foucaults basiert, können psychotherapeutische Online-Programme als ‚Technologien des Selbst‘ gelesen werden. Eingebettet in bestimmte Macht-Wissens-Komplexe arbeiten sie der neoliberalen Gouvernementalität der Gegenwart – der von Foucault und anderen beschriebenen Art und Weise, wie zeitgenössische Gesellschaften regiert werden, indem die Selbstführung von Subjekten regiert wird – zu. Aufbauend auf und auf engste verwoben mit Prozessen der Ökonomisierung, Psychologisierung und Digitalisierung – so die These dieser Arbeit – stellen psychotherapeutische Online-Programme Teile von Hybridakteuren dar, die die ‚Psyche‘ als Knotenpunkt der Selbst- und Fremdführung produktiv machen. Bei der empirischen Analyse eines derartigen psychotherapeutischen Online-Programms (Selfapy) und der zugehörigen App (Selfapy – Stimmungstagebuch) wird der Frage nachgegangen, wie die psychotherapeutische Praxis, im Rahmen ihrer digitalen Vermittlung und Applikation, als Angebot der unternehmerischen Selbstführung gestaltet wird. Im Zuge ‚psycho-logischer‘ Qualitäten, wie Achtsamkeit, Selbstkontrolle und Resilienz, wird ‚psychische Gesundheit‘ als zentraler Fluchtpunkt der individuellen Zufriedenheit und Lebensqualität ausgewiesen und dabei mit dem neoliberalen Regierungsziel der Produktivitäts- und Leistungssteigerung verschmolzen.