Abstract (deu)
Das Gewaltsame Verschwindenlassen ist in Mexiko kein neues Phänomen: Bereits im „Schmutzigen Krieg“ der 1970er Jahre ging der Staat mit diesem Gewaltmittel repressiv gegen die politische Dissidenz vor. Aktuell gelten zehntausende Menschen als verschwunden, wobei gängige Erklärungen das Verschwindenlassen im Kontext der (Bekämpfung der) Drogenkriminalität verorten. Über diese Ansätze hinausgehend wird das Verschwindenlassen in dieser Arbeit als eine bestimmte Form der (staatlichen) Gewaltausübung analysiert und in Zusammenhang mit struktureller Gewalt bzw. sozialer Ungleichheit und Marginalisierung gesetzt. Ziel war es, die Implikationen des Verschwindenlassens in Mexiko für die Absicherung staatlicher Herrschaft und die Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse zu untersuchen.
Dazu wurde ein Staatsverständnis entwickelt, das sich aus historisch-materialistischer Staatstheorie und lateinamerikanischen staatstheoretischen Debatten zusammensetzt. Unter Rückgriff auf methodologische Konzepte der historisch-materialistischen Politikanalyse (Brand 2013, Buckel et al. 2014) wurde das Verschwindenlassen in Mexiko zwischen 2006 und 2018 analysiert.
Die Untersuchung exemplarischer Fälle zeigte, dass das Verschwindenlassen ein Metaphänomen bezeichnet, mit dem eine Strategie der territorialen und sozialen Kontrolle verfolgt wurde. Dies privilegierte systematisch das (transnationale) Kapital und war somit strukturell konstitutiv für die Reproduktion des Kapitals in Mexiko, wobei diskursiv die Verantwortung auf die Drogenkriminalität verschoben und jene des mexikanischen Staates verschleiert wurde.
Über eine dichotomisierende Sicht „Staat vs. Drogenkriminalität“ hinausgehend, veranschaulicht die vorliegende Arbeit die vielfältige Akteurskonstellation beim Verschwindenlassen und kann damit zeigen, dass mit dem Gewaltmittel staatliche Herrschaft in Mexiko abgesichert und die ungleichen gesellschaftlichen Verhältnisse reproduziert wurden.