Abstract (deu)
Mediale Berichterstattungen brachten in den letzten Jahrzehnten ein eklatantes Missbrauchsproblem innerhalb westlicher tibetisch-buddhistischer Gemeinschaften ans Licht. Angesichts von rezent publizierten Autobiografien tibetischer Frauen des traditionellen Tibets vor 1950, die in tantrische Partnerschaften involviert waren, stellt sich in diesem Kontext die Frage, welche Erfahrungen diese Frauen mit sexuellem Fehlverhalten gemacht haben und die Überlegung, wie und ob diese mit den Erfahrungen von Frauen innerhalb westlicher tibetisch-buddhistischer Gemeinschaften vergleichbar sind. In der vorliegenden Untersuchung werden Hintergründe und Ursachen für sexuellen Missbrauch im Kontext des tibetischen Buddhismus in mehreren westlichen Organisationen sowie in einer asiatischen Gemeinschaft analysiert. Formen von heteronormativ gedachter, buddhistisch-tantrischer Sexualität zwischen tibetischen Lehrern und deren Schülerinnen erweisen sich in diesem Zusammenhang als ein möglicher Fallstrick für Manipulation und sexuellen Missbrauch. Die herangezogenen Missbrauchsfälle werden prinzipiell als Formen von Gendergewalt interpretiert und so auf patriarchale Machtstrukturen und die sexuelle Unterdrückung von Frauen und Kindern zurückgeführt. Der sexuelle Missbrauch von Knaben in tibetischen Klöstern wird hier investigativ beleuchtet und in einen kausalen Zusammenhang mit Täterbiografien gestellt. Ein weiteres der behandelten Themenfelder betrifft die sexuelle Belästigung von Nonnen. Dieses sexuelle Fehlverhalten männlicher Lamas begründet sich – ähnlich wie bei Kindesmissbrauch in tibetischen Klöstern – durch religiöse Hierarchiestrukturen und kann daher auf ein, in Machtverhältnisse eingebettetes, männliches Superioritätsdenken zurückgeführt werden. Transkulturelle Sichtweisen lassen zusätzlich sozioreligiöse Verflechtungen und Transformationen erkennen, die sich aus einem kulturellen Austauschprozess zwischen Tibet und dem Westen entwickelten und auch zu neuen kulturellen Bewertungen des Phänomens geführt haben.