Abstract (deu)
Entgrenzungserfahrungen sind Erfahrungsabschnitte, in welchen die wahrgenommenen Grenzen zwischen Selbst und Welt schwächer oder weniger deutlich werden. Diese Erfahrungen gehen üblicherweise mit einem Gefühl der Einheit von Selbst und Welt, oder ihrer Teile, einher. Berichte von Erfahrungen, die dieser Definition entsprechen, findet man in verschiedenen Strängen wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher Literatur, über unterschiedliche Traditionen und Disziplinen hinweg. Entgrenzungserfahrungen wurden in verschiedenen Kontexten beschrieben, unter anderem in Zusammenhang mit Natur, Kunst, Liebe und Intimität, Psychopathologien, psychedelischen Substanzen und Meditation. Verschiedene Forschungsansätze arbeiten meist unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Terminologien. Weitere Forschung ist nötig, um eine einheitliche Untersuchung von Entgrenzungserfahrungen zu erreichen. Wir stellen eine empirisch-phänomenologische Untersuchung von Entgrenzungserfahrungen und der Selbsterfahrung in Entgrenzungserfahrungen vor, da diese eine einzigartige Möglichkeit bieten das Wesen des Selbst zu erforschen. In 29 ausführlichen phänomenologischen Interviews mit acht Mitforschenden wurden acht zufällig ausgewählte Alltagserfahrungen sowie zehn Entgrenzungserfahrungen untersucht. Die Entgrenzungserfahrungen wurden von Mitforschenden aus ihrer Vergangenheit ausgewählt und fanden in unterschiedlichen Kontexten statt. Die Ergebnisse decken die diachrone und synchrone Struktur von Entgrenzungserfahrungen auf und zeigen dabei, dass die erforschten Entgrenzungserfahrungen oft mit einer Erfahrung des Loslassens und des Vertrauens in die Welt einhergehen. Das Selbst, welches zumeist als komplexe Entität erfahren wird, die aus mehreren Teilen besteht, verliert seine interne Kohärenz, und der Großteil seiner Bestandteile verschwindet. Oft bleibt nur ein Gefühl der Meinigkeit. Unsere Studie trägt zum konzeptuellen und phänomenologischen Verständnis von Entgrenzungserfahrungen bei und liefert nützliche Einblicke für Diskussionen über das metaphysische und erfahrene Wesen des Selbst.