Abstract (deu)
Mobilität und Grenzen gehören zu den umstrittensten Themen in Europa. Ein zentrales Element in der Regulierung von Migration ist der anhaltende Ausbau einer digitalen Infrastruktur zur Gewährleistung von Grenzsicherheit. Die Fachliteratur im Bereich der Border Studies und kritischen Sicherheitsforschung hat die konstitutive Rolle von Technologien in der Formierung von Grenzen weitgehend anerkannt. Weniger erforscht ist hingegen die Art und Weise, wie kollektive Visionen der (Un-)Sicherheit in Grenzinfrastrukturen eingeschrieben und durch sie vermittelt werden. Mit Hilfe von Konzepten der Wissenschafts- und Technikforschung analysiert diese Arbeit die wechselseitige Verstrickung von gesellschaftlichen Visionen der Zukunft und techno-wissenschaftlichen Konstruktionen von digitalen Grenzen. Sie untersucht dabei, welche soziotechnischen Imaginationen in die Entwicklung von Datenbanken eingebettet werden und somit der Rechtfertigung und Normalisierung von Grenzpraktiken in Europa dienen, wie etwa der digitalen Verarbeitung, Kategorisierung, Sortierung, und letztlich auch Diskriminierung von mobilen Individuen. Die Dissertation erforscht dabei Eu-LISA, die offizielle Agentur der Europäischen Union (EU) für das Betriebsmanagement und die Entwicklung von IT-Großsystemen im Schengen-Raum. Anhand einer empirischen Analyse ihrer Standorte, Projekte und Aktivitäten wird argumentiert, dass gesellschaftliche Visionen von digitaler Grenz(un)sicherheit artikuliert, kollektiviert und stabilisiert werden. Jene eröffnen und schließen soziotechnische Handlungsräume und -möglichkeiten, und steuern das Projekt der digitalen Infrastrukturierung von Europas Grenzen. Die Studie folgt einem interpretativen Ansatz, der sich auf das Rahmenwerk der Situationsanalyse (Situational Analysis) bezieht. Zwischen 2019 und 2021 wurde dafür unterschiedliches, ethnographisches Material gesammelt, basierend auf Feldforschung, teilnehmender Beobachtung bei Konferenzen und Policy-Meetings, Interviews und informellen Konversationen, sowie offiziellen Dokumenten. Im Zentrum der Analyse stehen semi-strukturelle Interviews, die mit rund 30 politischen Entscheidungsträgern, Beamten, Delegierten und Experten aus EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten geführt wurden.