Abstract (deu)
In meiner Dissertation untersuche ich den sukzessiven Umbau traditioneller Wohlfahrtsstaatlichkeit in einen „neo-sozialen“ Aktivierungsstaat (Lessenich 2013), der seit Mitte der 1990er-Jahre auch in der Schweiz vor sich geht. Damals wurden Obrigkeitsstaatlichkeit und BürgerInnenferne verstärkt Gegenstand öffentlicher Kritik, während umgekehrt BürgerInnennähe, Service- und Effizienzorientierung der staatlichen Verwaltung eingefordert wurden. Ansetzend an diesen staatlichen Transformationsprozessen und mit Blick auf das Untersuchungsfeld der öffentlichen Arbeitsvermittlung in der Schweiz fokussiert meine Untersuchung auf die veränderten Anforderungen an das berufliche und zugleich staatliche Handeln von Beschäftigten in einer staatlichen Arbeitsvermittlungsbehörde, einem sogenannten Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV). Die Re-Organisation staatlicher Verwaltung unter dem Leitbild des New Public Managements (NPM) betrachte ich als Ausdruck einer neuen Regierungsweise, mit Michel Foucault gesprochen als Ausdruck der „neoliberalen Gouvernementalität“. Gefühle bzw. Affekte, so zeige ich in meiner Untersuchung, spielen bei dieser Regierungsweise eine besonders wichtige Rolle. Basierend auf einem qualitativen Methodenmix (teilenehmende Beobachtungen, Shadowing, Interviews, Dokumenten- und Bildanalyse) analysiere ich in meiner ethnographischen Studie, wie sich Aktivierungsparadigma und NPM-Mechanismen auf das (professionelle) Selbstverständnis der PersonalberaterInnen auswirken und diese zu „StaatsunternehmerInnen“ und „UnternehmerInnen ihrer selbst“ machen. Serviceorientierte Beratungsarbeit unter den Vorzeichen der Aktivierung verlangt nach einem anderen Gefühlsmanagement als obrigkeitsstaatliches Verwalten (das noch gemäß Max Weber emotionslos erfolgen sollte). Bei meiner Street-level-Analyse stehen insbesondere zwei Leitfragen im Vordergrund: Im Sinne eines doing gender (while doing work) untersuche ich zum einen, wie Geschlecht in den interaktiven Praktiken der PersonalberaterInnen verhandelt wird und inwiefern die zunehmende Bedeutung affektiver Arbeit in ehemals bürokratisch verfassten Organisationen das hegemoniale Konzept von Weiblichkeit und Männlichkeit und die damit einhergehende vergeschlechtlichte Arbeitsteilung in Frage stellen. Zum anderen interessiere ich mich dafür, wie die PersonalberaterInnen auf die neuen organisationalen Anforderungen reagieren (ablehnend oder zustimmend, in Form widerständiger Praktiken o.a.). Meine Ergebnisse zeigen, dass es die Indienstnahme affektiver Arbeitspraxen zu geschlechtsspezifischen Verschiebungen in den Arbeitsnormen und Praktiken im traditionell als männlich konzipierten Staatssektor geführt hat. Überdies birgt die affektive Arbeit der PersonalberaterInnen das Potential für (individuellen und auch kollektiven) Widerstand gegen die organisationalen Veränderungsprozesse und Vermarktlichung ihrer persönlichen Ressourcen durch die Einführung bzw. Stärkung von Marktmechanismen.