Abstract (deu)
Während der Zeit des Nationalsozialismus in Europa waren Dolmetscher*innen grundlegend für die Verständigung zwischen verschiedenen Ländern in Krisensituationen. Dolmetscher*innen wurden vielseitig eingesetzt, etwa in Konzentrationslagern, beim Militär oder auf diplomatischer Ebene. In dieser Masterarbeit werden alle genannten Einsatzgebiete berücksichtigt, wobei der Schwerpunkt auf Dolmetscher*innen in Politik und Diplomatie liegt und insbesondere die Fallstudien von Eugen Dollmann und Paul Schmidt, die Adolf Hitler dolmetschten, analysiert werden. Anhand einer qualitativen Analyse nach Mayring (2015) werden die folgenden Forschungsfragen beantwortet: Haben Dollmann und Schmidt eine (berufs-)ethische Haltung ein-genommen? Hatten Dollmann und Schmidt einen bestimmten Verhaltenskodex, den sie befolgen konnten? Welchen Handlungsspielraum hatten Dollmann und Schmidt als Dolmetscher? Zur Durchführung der qualitativen Analyse wird die Methode der Explikation von Text-stellen aus den Memoiren von Dollmann und Schmidt angewandt, wobei insbesondere die Werke Roma nazista (Dollmann 1949), Hitler’s Interpreter (Schmidt 2016) und Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945: Erlebnisse des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt mit den Staatsmännern Europas (Schmidt 1949) berücksichtigt werden. Die Analyse zeigt, dass es unmöglich ist, festzustellen, ob Dollmann und Schmidt die nationalsozialistische Ideologie tatsächlich unterstützten, da es sich bei den verfügbaren Quellen um Memoiren handelt und nicht bekannt ist, ob die Inhalte der Wahrheit entsprechen oder lediglich als Rechtfertigung der Dolmetscher betrachtet werden können. Es ist jedoch klar, dass beide Dolmetscher auf unterschiedliche Weise Wege gefunden haben, um Diktatoren zu manipulieren. Deshalb kann von einer (berufs-)ethischen Haltung nicht gesprochen werden. Die Analyse verdeutlicht außerdem, dass Dollmann und Schmidt einen persönlichen Verhaltenskodex hatten, der jedoch stark durch den Indoktrinierungsprozess beeinflusst wurde. Darüber hinaus hatten Dollmann und Schmidt einen weiten Handlungsspielraum, da beide je nach Situation unterschiedliche Rollen übernahmen, in manchen Fällen agierten sie etwa als Berater und nicht nur als Dolmetscher. Außerdem hatten sie einen großen Freiraum bei der Ausübung ihrer Macht.