Abstract (deu)
Am Beginn dieser Arbeit stand eine Beobachtung – bei Erdarbeiten in Müllendorf wurden römische Baustrukturen gefunden. Daraufhin wurden alle bisher dokumentierten Befunde der Kaiserzeit aus Müllendorf und des nahen Umlandes, unter landschaftsarchäologischen Gesichtspunkten, zusammengetragen. Geordnet wurden die Befunde in einer Access-Datenbank, kartiert in einem GIS-Projekt, beschrieben im Katalogteil dieser Arbeit und als Forschungsergebnis interpretiert. Eine Beschreibung des Untersuchungsraumes, im Kontext seiner geografischen Lage beschrieben und seine Forschungsgeschichte leitet diese Arbeit ein. Die Physiogeografie des Untersuchungsgebietes wurde getrennt nach Lithosphäre, sowie Klima und Hydrologie erfasst. Dabei zeigten sich zwei deutliche Gegensätze: Die Lithosphäre ist ein relativ konstantes Raumelement aller Epochen, während das Klima deutlichen Schwankungen unterliegt. Klimaschwankungen wirken sich unmittelbar auf die Hydrosphäre aus, was in weiterer Folge unmittelbare Auswirkungen auf den Menschen zeigt. Der Mensch als „Forschungsinstrument“ und Forschungsgegenstand dieser Arbeit wurde im Theorieteil dieser Arbeit reflektiert. Modelle und Trivialisierungen sind die einzigen Möglichkeiten vergangenen Wirklichkeiten näher zu kommen. Kaiserzeitliche Terminologien sind Symbole und Bilder, die unmittelbar mit modernen Forschungsmethoden verknüpft sind. Archäologische Methoden können nur Fragmente vergangener Lebenswelten erfassen, die durch interkulturelle Andersartigkeit geprägt und schwer ins Heute übertragbar sind. Durch die Fundstellenrecherche und daraus resultierende Konfrontationen mit provinzialrömischer Terminologie, entstand ein hermeneutischer Prozess, der in dieser Arbeit Niederschrift fand. Als wesentlicher Schlüssel zum Verständnis kaiserzeitlicher Landschaften, wurde die Identifikation und Definition kaiserzeitlicher Entitäten erfasst. Die Unterscheidung und Ansprache verschiedener Siedlungstypen ist nicht trivial, da Begriffsdefinitionen in Diskussion stehen. Zweck, Nutzen und Funktion kaiserzeitlicher Siedlungsräume sind von Kontexten abhängig, die aus materiellen Hinterlassenschaften alleine nicht abgeleitet werden können. In der Forschungsliteratur finden sich primär zwei ländliche Siedlungstypen, Vici und Villae Rusticae. Diese konnten auch im Forschungsraum identifiziert werden. Siedlungs- und Wirtschaftsräume des Forschungsraumes waren auf kürzesten Routen durch Schotter- und Erdstraßen verbunden, deren Routen durch Anbindung an überregionale Zentralorte vorgegeben war. Die physische Landschaftsstruktur besteht heute aus fruchtbarem Ackerland und zahlreichen Fließgewässern. Für die Römerzeit kann ein landwirtschaftlich geprägtes Wirtschaftswesen angenommen werden, das die lokale Bevölkerung mit essenziellen Gütern des primären Wirtschaftssektors versorgte. Darüber hinaus ist Überschussproduktion für Limesregion und Nachbarprovinzen anzunehmen, aber schwer nachzuweisen. Das römische Straßenwesen verband umliegende Städte, deren Routen durch den Forschungsraum führten. Von den römischen Straßen können mögliche Funktionen für die Siedlungseinheiten des Forschungsraum abgeleitet werden. Physische und kulturelle Landschaftsstrukturen des Forschungsgebietes führen zum Ergebnis, die römischen Baustrukturen Müllendorfs als Vicus mit zentralörtlichen Funktionen für umliegende Villen und Straßenstationen anzusprechen. Theorieteil und Forschungsgeschichte haben jedoch gezeigt, dass der Vicusbegriff kein universell einsetzbares sprachlich-interpretatives Instrument ist – die Bedeutung vergangener Orte ist untrennbar an moderne Ideenwelten geknüpft.