Abstract (deu)
Im Jahr 2015 ermächtigte das revidierte Umweltschutzgesetz der Volksrepublik China die chinesischen Nichtregierungsorganisationen (NROs) dazu, Umweltklagen im öffentlichen Interesse in ganz China einzuleiten. Bisher haben jedoch nur wenige diese Gelegenheit genutzt. Frühere Studien haben die geringe Partizipation hauptsächlich den strengen rechtlichen Bedingungen für die Klaglegitimation zugerechnet. Die vorliegende Arbeit stellt diese Argumentation als alleinige Erklärung zur Debatte. Durch die Kontextualisierung der Umweltklagen im öffentlichen Interesse als einen Fall der breiteren Justizialisierung der Politik konzipiert diese Arbeit die rechtliche Taktik der NROs als Legal Opportunity Structure (oder rechtliche Opportuntätsstruktur), die von TeilnehmerInnen mithilfe unterschiedlicher Ressourcen wahrgenommen wird. Daher liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf dem organisatorischen Hintergrund der NROs und den Bedingungen für deren Erfolgsquote bei den untersuchten Fällen. Es werden folgende drei Fragestellungen berücksichtigt: Erstens, welche Art von NROs engagiert sich in den Umweltklagen im öffentlichen Interesse? Zweitens, wie erfolgreich sind sie dabei? Drittens, welche Faktoren beeinflussen wahrscheinlich den Ausgang der Klagen? Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen greift die Arbeit auf 118 Fälle aus dem Zeitraum zwischen 2014 und 2019, Gerichtsentscheidungen, gerichtliche Schlichtungsvereinbarungen und auch Online- und Medienquellen in Bezug auf den Hintergrund der NROs zurück. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass die aktivsten Klägerinnen ihre rechtlichen Kapazitäten ausgebaut haben, nahe der Regierung stehen oder über andere politische Ressourcen verfügen. Sie bevorzugen zunehmend das Framing von Gerichtswegen und verfügbare juristische Möglichkeiten als Mittel für die Streitbeilegung, ohne dabei die Legitimation des Staates direkt herauszufordern. Basierend auf der Untersuchung von 57 Entscheidungen mit rechtskräftiger Wirkung werden Bedingungen für den Erfolg dieser Klagen – wie das vorherrschende Ziel der Klage, die Unterstützung seitens staatlicher Institutionen und der Einstellung des zuständigen Gerichtes – aufgestellt und untersucht. Die Ergebnisse dieser Arbeit tragen zum besseren Verständnis des Umfelds bei, in dem sich die KlägerInnen in Umweltklagen bewegen. Die Arbeit zeigt das Ausmaß und die Grenzen der Möglichkeiten von NROs bei der Schaffung von und der Teilnahme an rechtlichen Opportunitäten, die vom Staat eröffnet werden und leistet einen Beitrag zum besseren Verständnis der Justizialisierung, im Zuge derer die Gerichte als Institutionen zur Problemlösung in den Mittelpunkt gerückt wurden. Die Arbeit hilft zudem die Spannungen und die institutionelle Ausgestaltung der Justiz, die auf ihre Entscheidungsfindung einwirken, besser zu verstehen.