Abstract (deu)
Tafel 32, ein Kapitel aus dem längsten aus Mesopotamien bekannten divinatorischen Text šumma ālu ina mēlê šakin „Wenn eine Stadt auf einer Höhe liegt“, beinhaltet Omina über das Verhalten und die Eigenschaften von Eidechsen. Tafel 32 ist einer von mehreren Abschnitten des Gesamttexts, in denen Omina über nichtmenschliche Tiere behandelt werden. In der bisherigen Forschung nahm man lange an, dass die Erstellung der umfangreichen Listen von Omina aus dem ersten Jahrtausend im Kern eine empirische Basis besaß und auf jahrtausendelangen Aufzeichnungen real beobachteter Phänomene beruhte. Neuere Forschungen haben jedoch gezeigt, dass Omentexte aus Basis einer Kombination von semantischen und symbolischen Assoziationen mit phonetischen und grafischen Elementen entstanden sind. Diese Kombinationen basieren auf dem Prinzip von Ähnlichkeit und verbinden das omenhafte Phänomen in der Protasis eines Omens mit dem entsprechenden Ergebnis dieses Phänomens in der Apodosis. In demselben Kontext können die zahlreichen „Wortspiele“ in den Omina der Tafel 32 gesehen werden, die—wie viele andere Teile des Textes—auf der Polyvanz der Keilschrift beruhen. Die untersuchten Omenabfolgen auf Tafel 32 weisen typische Strukturelement von Omentexten auf, wie gegensätzliche binäre Paare oder schematische Beziehungen, die auf bekannten Abfolgen, beispielsweise von Farben, basieren, aber auch weniger bekannte Elemente, wie Abfolgen von Omina, die auf Listen von Haushaltsgegenständen aufbauen. Auch können, zum Beispiel, phonetische Wiederholung und grafische Verdopplung des Texts einen semantischen Kontext von Dualität in der jeweiligen Omina spiegeln. Diese Masterarbeit wurde im Rahmen des Projekts ‚Bestiarium Mesopotamicum: Tieromina im Alten Mesopotamien‘ (Universität Wien) verfasst, das durch den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) (Projektnummer P 31032) gefördert wurde. Abschnitte des Teils IV (4.2.4 und 4.2.5) basieren auf Forschungstätigkeiten im Rahmen des Projekts REPAC „Repetition, Parallelism and Creativity: an Inquiry into the Construction of Meaning in Ancient Mesopotamian Literature and Erudition“ (2019-2024, Universität Wien), gefördert von European Research Council (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 (Fördervereinbarung Nr. 803060). Diese Masterarbeit enthält eine vollständig überarbeitete Edition von Tafel 32 mit Transliteration, Übersetzung und philologischem Kommentar. Durch die Kollation des Textes anhand von Originalen oder Fotografien der Texts konnten nicht nur einige Zeichenlesungen, sondern auch die Reihenfolge mancher Omina korrigiert werden. Die hier vorliegende Edition führt erstmalig alle bekannte Manuskripte von Tafel 32 zusammen und enthält zudem einen von Nicla De Zorzi im Februar neu entdeckten Join zweier Tontafeln. Die Untersuchung der Abfolgen der Omina auf Tafel 32 zeigt, dass die sprachlichen Merkmale des Textes nicht bloß Verbindungen zwischen den jeweiligen Protasen und Apodosen herstellen; auch diese Teile selbst sind jeweils untereinander verwoben, wodurch ein Netz von Verbindungen zwischen den einzelnen Omina geschaffen wird. Tafel 32 liegt derzeit in drei verschiedenen Textversionen vor, die zwar ähnliche, jedoch nicht idente Omenabfolgen enthalten. Eine Detailanalyse dieser drei Textvarianten zeigt daher besonders deutlich, wie die vielschichtigen Formen von Ähnlichkeit und ihre vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten einen kohärenten Gesamttext erzeugen.