Abstract (deu)
Das Interesse von Schüler*innen an Physik zu fördern ist ein wesentlicher Bestandteil des Physikunterrichts. Frühere empirische Studien haben das Interesse der Schüler*innen an Physik hauptsächlich in Form von Kategorien interessanter Inhalte und Kontexte beschrieben und sich auf Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Schüler*innen konzentriert. Eine wichtige Studie, die IPN Interessenstudie Physik, führte die Interessentypen der Schüler*innen an Physik ein. Frühere Studien berücksichtigen jedoch keine Inhaltsbereiche der modernen Physik, wie beispielsweise die Teilchenphysik. Außerdem wurde in der IPN-Studie nicht beschrieben, wie interessant verschiedene Kontexte relativ zueinander für die verschiedenen Interessentypen der Schüler*innen sind. Darüber hinaus stehen andere Schüler*innenmerkmale, wie beispielsweise das physikbezogene Selbstkonzept, selten im Mittelpunkt der Forschung. Für die physikdidaktische Forschung stellen sich daher drei wichtige Fragen: In welche verschiedenen Interessentypen lassen sich Schüler*innen einteilen, wenn zusätzlich Teilchenphysik als Inhaltsbereich der modernen Physik berücksichtigt wird? Wie interessant sind verschiedene Kontexte relativ zueinander innerhalb dieser Interessentypen? Und lassen sich die Interessentypen besser beschreiben, wenn man auf das physikbezogene Selbstkonzept als Schüler*innenmerkmal anstelle des Geschlechts fokussiert? Im Rahmen dieses Promotionsprojekts wurden zwei physikdidaktische Studien durchgeführt, um diese drei Fragen beantworten zu können. In der ersten Studie wurde ein Messinstrument für Interesse an Teilchenphysik (Instrument to measure Particle Physics Interest, IPPI) entwickelt, da Studien über den Zusammenhang zwischen Interesse und anderen Bildungsaspekten, wie etwa Leistung und Selbstkonzept, den Einsatz psychometrisch fundierter Messinstrumente erfordern. Basierend auf den Ergebnissen früherer empirischer Studien wurden das Interesse an Teilchenphysik und Verhaltensweisen definiert, die verschiedenen Graden von Interesse an Teilchenphysik entsprechen. Darauf aufbauend wurde eine Konzeptualisierung des Interesses von Schüler*innen an Teilchenphysik in Form einer Hierarchie von Interessensstufen vorgeschlagen. Anschließend wurde das IPPI entwickelt, bestehend aus 11 Rating Scale-Items, die verschiedene Grade des latenten Merkmals „Interesse an Teilchenphysik“ messen. Es wurde eine neue, schrittweise und reproduzierbare Methode vorgeschlagen und angewandt, um mithilfe einer Rasch-Analyse Items aus einem anfänglichen Item-Pool auszuwählen. Das IPPI wurde zuerst in Interviews mit der Methode „Lautes Denken“ getestet und danach in einem Feldtest mit 99 deutschsprachigen Schüler*innen der 9. Schulstufe validiert. Eine Rasch-Analyse erbrachte Evidenzen für die Inhalts-, Konstrukt-, statistische und Fitvalidität des IPPI. Basierend auf der Item-Hierarchie, die aus der Rasch-Analyse resultierte, wurde die vorgeschlagene Konzeptualisierung des Interesses von Schüler*innen an Teilchenphysik in Form einer Hierarchie von Interessensstufen überarbeitet. Insbesondere konnte jede Interessensstufe mit bestimmten Kontexten der Teilchenphysik assoziiert werden. So wurde beispielsweise gezeigt, dass Schüler*innen auf der Stufe des offenen Interesses an Teilchenphysik interessiert sind, wenn sie in Alltagskontexten präsentiert wird. Insgesamt führte diese erste Studie zur erfolgreichen Entwicklung des IPPI und zur Konzeptualisierung des Interesses von Schüler*innen an Teilchenphysik in Form einer Hierarchie von Interessensstufen. Danach konnte die Hauptstudie, eine Kohortenquerschnittsstudie mit deutschsprachigen Schüler*innen im Alter von 14 bis 16 Jahren (N = 1219), durchgeführt werden. Das Interesse der Schüler*innen an Mechanik und Teilchenphysik wurde mit dem Messinstrument für Interesse an Mechanik aus der IPN-Studie und dem IPPI erfasst. Darüber hinaus wurden verschiedene Schüler*innenmerkmale, wie etwa das physikbezogene Selbstkonzept, das Geschlecht und die Erfahrung mit dem Inhaltsbereich in der Schule, gemessen. Das Hauptziel dieser Studie war es, die Interessenstypen der Schüler*innen an Physik und ihre Assoziierung mit verschiedenen Schüler*innenmerkmalen zu untersuchen. Für die Mechanik wurde auch der Einfluss des Einführungstextes analysiert, indem die Schüler*innen zufällig zwei verschiedenen Versionen des Fragebogens zugeordnet wurden. Die erhobenen Daten zum Interesse und Selbstkonzept der Schüler*innen wurden mit Mixed Rasch-Modellen analysiert, um qualitative Unterschiede in den gemessenen Konstrukten zwischen verschiedenen Gruppen von Schüler*innen aufzudecken. Außerdem wurden beim Interpretieren der Ergebnisse der Mixed Rasch-Analyse Differential Item Functioning und das Antwortverhalten der Schüler*innen berücksichtigt. Die Hauptstudie zeigte, dass die meisten Schüler*innen in beiden Inhaltsbereichen einem einzigen Interessentyp zugeordnet werden können (86 % der Schüler*innen in Mechanik bzw. 79 % der Schüler*innen in Teilchenphysik). Schüler*innen dieses Interessenstyps waren nur an Physik in den bestimmten Kontexten interessiert. Schüler*innen, die an der Physik der Bewegung von Fahrzeugen interessiert sind, formten den zweiten Typ des Interesses an Mechanik (14 % der Schüler*innen). Der zweite Typ des Interesses an Teilchenphysik wurde als „Teilchenphysikliebhaber*innen“ bezeichnet, um ihr Interesse an Teilchenphysik als Inhaltsbereich und als Forschungsdisziplin widerzuspiegeln (21 % der Schüler*innen). Für beide Inhaltsbereiche konnte am besten beschrieben werden, zu welchem Interessentyp Schüler*innen gehören, mit einem Modell, das sowohl den Grad des physikbezogenen Selbstkonzepts als auch das Geschlecht der Schüler*innen umfasst. Um zu beschreiben, wie interessant verschiedene Kontexte relativ zueinander für den ersten Interessentyp der Schüler*innen (d.h. für die meisten Schüler*innen in Mechanik und Teilchenphysik) sind, konnte die Konzeptualisierung des Interesses in Form einer Hierarchie von Interessenstufen der Schüler*innen angewandt werden, obwohl sie in der ersten Studie ursprünglich nur für Teilchenphysik entwickelt worden war. Deshalb wurde die Konzeptualisierung des Interesses von Schüler*innen in Form einer Hierarchie von Interessensstufen als Empfehlung für Physik im Allgemeinen vorgeschlagen (hierarchy of levels of interest in physics, HOLIP). Die Studie zeigte auch, dass die Erfahrung mit dem Inhaltsbereich in der Schule und das Interesse der Schüler*innen an diesem Inhaltsbereich für den ersten Interessentyp von Schüler*innen korrelieren. Außerdem gab es keinen signifikanten Unterschied im Grad des Interesses der Schüler*innen an Mechanik, der mit dem Einsatz von verschiedenen Versionen des Einführungstextes zur Mechanik zusammenhing. Insgesamt führte das Promotionsprojekt zur erfolgreichen Entwicklung des Messinstruments für Interesse an Teilchenphysik (Instrument to measure Particle Physics Interest, IPPI). Es wurde gezeigt, dass die meisten Schüler*innen einem einzigen Interessentyp an Physik zugeordnet werden können und dass das Interesse dieser Schüler*innen mit der Konzeptualisierung des Interesses an Physik in Form einer Hierarchie von Interessensstufen (hierarchy of levels of interest in physics, HOLIP) beschrieben werden kann. Außerdem wurde gezeigt, dass die Interessentypen am besten mit Modellen charakterisiert werden können, die das physikbezogene Selbstkonzept zusätzlich zum Geschlecht beinhalten. Die Ergebnisse dieses Promotionsprojekts haben Implikationen sowohl für den Physikunterricht als auch für die physikdidaktische Forschung. Pädagogen, wie beispielsweise Lehrer*innen, können die Konzeptualisierung des Interesses (HOLIP) als Tool nutzen, um Lernaktivitäten zu entwickeln, die für Schüler*innen mit unterschiedlichen Graden von Interesse und physikbezogenem Selbstkonzept interessant sind. Für die physikdidaktische Forschung schlägt die erste Studie eine neue, schrittweise und reproduzierbare Methode vor, um Items aus einem anfänglichen Item-Pool mithilfe einer Rasch-Analyse auszuwählen. Die Hauptstudie schlägt vor, eine Mixed Rasch-Analyse zu verwenden, um qualitative Unterschiede in einem gemessenen Konstrukt, wie beispielsweise Interesse und Selbstkonzept, zwischen verschiedenen Gruppen von Schüler*innen aufzudecken, sowie Differential Item Functioning und das Antwortverhalten der Schüler*innen beim Interpretieren der Ergebnisse einer Mixed Rasch-Analyse zu berücksichtigen.