Abstract (deu)
Die Modifikation von Idiomen ist ein konstitutives Element von Karl Kraus’ Sprachsatire. Vom ersten Heft der "Fackel" an richtet er sich gegen die "Phrase" als Ausdruck von Abgestumpftheit und Phantasiearmut. Dagegen stellt er die produktive Nutzung phraseologischer Wortverbindungen – er verändert sie und holt so nicht nur die verblassten Bilder, auf denen sie beruhen, ins Bewusstsein, sondern drückt sich mit ihrer Hilfe äußerst genau aus. In der "Dritten Walpurgisnacht", Kraus’ Reaktion auf Hitlers Machtergreifung, stößt dieses Verfahren angesichts des Nationalsozialismus an seine Grenzen. Zentral ist in diesem Text, was Kraus die "Revindikation des Phraseninhalts" nennt, der "Aufbruch der Phrase zur Tat", aufgrund dessen das erprobte Spiel mit wörtlicher und metaphorischer Ebene von Idiomen sich erübrigt: Wendungen mit "ursprünglich blutige[m] oder brachiale[m] Inhalt" können nur noch wörtlich verstanden werden, weil sie wieder umgesetzt werden. Doch nicht nur die von Kraus explizit besprochenen Fälle, in denen Idiome auf Bildern der Gewalt basieren und ihnen die metaphorische Ebene gänzlich abhandenkommt, sind genauerer Betrachtung wert. Kraus’ Versuch einer Darstellung des Nationalsozialismus oszilliert zwischen größtmöglicher sprachlicher Präzision und versprachlichter Sprachlosigkeit. An seinem Umgang mit Idiomen, in welchem sich die wichtigsten Merkmale seiner Poetik verdichten, lässt sich dies deutlich zeigen. In der vorliegenden Arbeit werden in einer eingehenden Analyse ausgewählter Stellen die vielfältigen Funktionen modifizierter Idiome in der "Dritten Walpurgisnacht" aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.