Abstract (deu)
Bioethische Entscheidungsfindungen in der assistierten Reproduktionsmedizin sind eine heikle Angelegenheit. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen daher zwei internationale Fachgesellschaften im Bereich der Reproduktionsmedizin, wobei der Schwerpunkt auf ihren internen Ethikausschüssen und deren Arbeit liegt. Sie ist als vergleichende qualitative Fallstudie konzipiert und untersucht, wie bioethische Fragen in der Reproduktionsmedizin von Fachleuten (vor allem sogenannten ‚Ethikern‘) verhandelt und entschieden werden. Das zentrale Forschungsinteresse liegt dabei insbesondere auf den Rechtfertigungsmodalitäten, mit welchen versucht wird zu definieren, was im Kontext der Reproduktionstechnologien als ethisch (un-)vertretbare medizinische und/oder Forschungspraxis gelten soll. Im Stil der Akteurs-Netzwerktheorie wird in dieser Arbeit der methodische Schritt unternommen, Dokumente – insbesondere die ethischen Stellungnahmen beider Ethikkommissionen – in den Mittelpunkt des analytischen Interesses zu stellen. Die ethischen Stellungnahmen werden als integrale Akteure in der Herstellung von Problemstellungen, Begriffen und Gegenständen betrachtet. Inspiriert von Boltanskis und Thévenots pragmatistischer Wissens- und Rechtfertigungsphilosophie sowie Foucaults analytischem Verständnis von Diskurs betrachtet diese Arbeit Bioethik als eine besondere diskursive Formation. In einer Koproduktions-perspektive nimmt die Arbeit die normativen Diskurse rund um Reproduktionstechnologien als Vehikel, um die Wissensproduktion und Machtdynamiken zu analysieren, die in diesem spezifischen Diskurs der beiden Ethikkommissionen zum Ausdruck kommen. In dieser Perspektive wird die Bioethik zu einem bestimmten Modus der Governance und damit aber auch als Ausdruck eines spezifischen Machtphänomens verhandelt. Daher liegt der Fokus auch auf Aspekten der Governance (Steuerung) und Selbstregulierung dieses techno-medizinischen Feldes. Somit geht es auch um die umfassendere Frage, wie Gesellschaften im Allgemeinen neuen (oder emergierenden) Technologien begegnen und ihre Nutzung regulieren, und welche Rolle und Funktion die Bioethik und deren Institutionalisierung dabei spielen. Die Bioethik kann als ein zusätzliches und formenreiches Instrument im politischen Bereich selbst betrachtet werden, das bestimmte Angebote macht, Probleme bearbeitet und modifiziert und damit potenziell attraktive Alternativen für politische Entscheidungsprozesse erarbeitet.