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Title
Die Universitätsbibliothek Wien 1938 bis 1945
Language
German
Description (de)
Beitrag in der "Online-Zeitung der Universität Wien". Die Universitätsbibliothek Wien 1938 bis 1945 Wissenschaft und Nationalsozialismus Gastbeitrag von Peter Malina am 30. Mai 2003 Um auch die Rolle der Universitätsbibliotheken in der Zeit des Nationalsozialismus zu beleuchten, berichtet Dr. Peter Malina über die Erkenntnisse seiner Arbeiten zur Geschichte der wissenschaftlichen Bibliotheken. Vertreibung von KollegInnen, Disziplinierung des Personals, "Säuberung" des Bücherbestandes und Einschränkung des Bibliothekszugangs sind auch Teil der Geschichte der Universitätsbibliothek Wien. Bibliotheken im Nationalsozialismus waren keineswegs, wie es manche nach 1945 gerne sehen wollten, Inseln akademischer "Glückseligkeit" und "Unschuld". Die Bibliothek ist immer - mag sie sich noch so "wissenschaftlich" geben - ein "Politicum" in dem Sinne, dass sie in der Sammlung, Schwerpunktbildung, Auswahl und Erschließung ihrer Bestände auch vom jeweiligen gesellschaftlichen/politischen Umfeld geprägt ist. Auch das Bibliothekspersonal hat - bis auf wenige Ausnahmen - seinen Sachverstand dem NS-Regime zuverlässig zur Verfügung gestellt. Die Missachtung der Rechte anderer, die Einschränkung des Zugangs zu den Beständen der Bibliothek und die Bereicherung der Bibliothek durch die Übernahme von Büchern, über deren Herkunft man sich keine Rechenschaft geben wollte, gehörten durchaus zu den Geschäften ihres "normalen" bibliothekarischen Alltags. Konkret bedeutete dies: Entfernung des politisch verdächtigen oder "rassisch" nicht "passenden" Bibliothekspersonals aus der Bibliothek. Einführung des "Führerprinzips" und damit auch der dienstlichen und politischen Kontrolle/Disziplinierung der "Gefolgschaft" durch den Dienststellenleiter. Eingriffe in den Bibliotheksbestand durch "Säuberung" (das heißt: Zensurierung und Wegsperrung) nicht genehmen Schrifttums und Neuorientierung der Erwerbungspolitik und des Bestandsaufbaus. Einschränkung und Reglementierung des Zugangs zu den Beständen der Bibliothek durch Deklassierung und Diskriminierung bestimmter Benutzergruppen nach "rassischen" und politischen Gesichtspunkten. Entlassungen Auch an der Universitätsbibliothek Wien wurden KollegInnen schon in kürzester Zeit nach dem "Anschluss" aus dem Dienststand entfernt und auf die Straße gesetzt. Betroffen waren zwölf von 61 Beamten, Angestellten und Aspiranten der Bibliothek. Unter ihnen befanden sich unter anderem aus politischen Gründen der "ständestaatliche" Direktor der Bibliothek, Johann Gans (der allerdings sehr bald wieder eine Leiterstelle in einer anderen Bibliothek übernehmen konnte) und der renommierte Albanologe Norbert Jokl. Diesem gelang es trotz vieler Bemühungen nicht, der Verfolgung als Jude zu entkommen. Er wurde 1942 nach dem Osten deportiert und in der Nähe von Minsk ermordet. Zugang erschwert Das jüdische Lehrpersonal wurde seiner Bücher "beraubt", indem man ihm bisher übliche Privilegien entzog und den Zugang zur Bibliothek wesentlich erschwerte: sie durften das Professorenzimmer nicht mehr benützen und hatten für den Zutritt zu den Lese- und Katalogräumen die vorgeschriebenen Erlaubniskarten und zur häuslichen Benutzung von Büchern einen Bibliotheksschein zu lösen. Diese Maßnahmen betrafen auch die Studierenden: im Oktober 1938 wurden für jüdische Studierende Zulassungsscheine mit einer speziellen Kennung eingeführt, und am 7. Dezember 1938 teilte Alois Jesinger, der neue Direktor der Bibliothek, den Bibliotheksangestellten kommentarlos mit: "Juden sind vom Besuch der Universitätsbibliothek ausgeschlossen." Verbotene Literatur Auch im inneren Bereich der Bibliotheksadministration setzte sehr rasch die Nazifizierung der Bibliothek ein. Im Zuge der Durchführung der im Deutschen Reich schon vor 1938 geltenden Zensurmaßnahmen führte das Bibliothekspersonal die "Säuberung" der Bibliothek von systemverdächtiger und systemkritischer Literatur durch. Betroffen war davon in erster Linie die "linke" (sozialdemokratische/"marxistische") Literatur, aber auch jenes Schrifttum, das im Gegensatz zu den Zielsetzungen der NS-Kulturpolitik stand. Anzumerken ist hier allerdings, dass diese Literatur schon vor 1938 in der Universitätsbibliothek Wien verfemt gewesen war. Lediglich das politische Schrifttum des "Ständestaates" musste zusätzlich in den Kreis der verbotenen Literatur einbezogen werden. Gehorsam und Verschweigen Verweigerung und Widerstand gegen diese Maßnahmen sind nicht erkennbar. Vorauseilender Gehorsam und die Bereitschaft wegzusehen und stillzuhalten, waren allerdings traditionelle Verhaltensweisen, die immer schon und ganz besonders unter der politischen Repression des Österreich der Jahre 1933 bis 1938 im alltäglichen Dienstbetrieb "geübt" wurden, um Schwierigkeiten und persönliche Konsequenzen zu vermeiden. In der Wahrnehmung der ZeitgenossInnen blieb die nationalsozialistische Zeit der Bibliothek in erster Linie als eine Kriegszeit in Erinnerung, die für den Bibliotheksbetrieb wesentliche Erschwernisse mit sich gebracht hatte: Bücher mussten in sichere Depots im Umland von Wien untergebracht werden und die steigende Knappheit an Material- und Personalreserven nach Möglichkeit ausgeglichen werden. Insgesamt gesehen hat die Universitätsbibliothek Wien als Institution die Jahre der NS-Herrschaft relativ glimpflich überstanden. Der Bibliotheksbetrieb konnte schon kurz nach Kriegsende wieder aufgenommen werden. Auch personell hat sich an der Universitätsbibliothek Wien wenig geändert: lediglich der Direktor wurde (wieder) ausgetauscht, und Johann Gans kehrte als Leiter an die Bibliothek zurück. An die NS-Geschichte wollte man nicht gerne erinnert werden. Man war froh, das Ganze überstanden und in der Bibliothek wieder seinen Platz gefunden zu haben. Dass KollegInnen willkürlich entlassen und schutzlos der Verfolgung ausgesetzt waren, kritische Literatur weggesperrt und Bibliotheksbestände in der NS-Zeit auf zweifelhafte Weise "erworben" wurden, wollte man nicht wahrhaben. In den letzten Jahren ist manches bewusster geworden. Trotzdem: Die Geschichte der Universitätsbibliothek Wien von 1938 bis 1945 ist immer noch Fragment. Dr. Peter Malina ist Univ.-Lektor und Leiter der Fachbibliothek für Zeitgeschichte am Institut für Zeitgeschichte. LITERATUR: Peter Malina: Bücherverbote in Österreich 1933-1938. Zur Kontrolle systemverdächtiger Literatur am Beispiel der Universitätsbibliothek Wien, in: Zeitgeschichte Heft 8/1982/83, S. 311-335. Peter Malina: Zur Geschichte der wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs in der NS-Zeit. Dargestellt am Beispiel der Universitätsbibliotheken Wien und Graz und der Österreichischen Nationalbibliothek (Kurzfassung), in: Peter Vodosek, Manfred Komorowski: Bibliotheken während des Nationalsozialismus. Teil 1. Wiesbaden 1989, S. 443-452. Walter Pongratz: Geschichte der Universitätsbibliothek Wien. Wien 1977. Gerd Simon: Tödlicher Bücherwahn. Der letzte Wiener Universitätsrektor im 3. Reich und der Tod seines Kollegen Norbert Jokl (pdf)
Keywords (de)
Bücherraub Provenienzforschung Restitution, Nationalsozialismus, Bibliotheksgeschichte
Coverage (de)
1938-1945 Österreich
Editor
Paolo  Budroni
Educational
Language
German
Description or Additional Data (de)
Online Zeitung der Universität Wien
ÖFOS 2002
Contemporary history
EuroVoc 4.2
National Socialism
EuroVoc 4.2
university library
ÖFOS 2002
Archive studies
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Vienna University Library and Archive Services
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Resource
Created
08.04.2008 07:26:33
This object is in collection
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