Abstract (deu)
Über sexualisierte Gewalt gegen Kinder wird nicht gerne gesprochen - sie kann als ein gesellschaftlich tabuisiertes Themen- und Diskursfeld verstanden werden. Die Frauenbewegung der 1970/1980er Jahre, welche das Thema der sexualisierten Gewalt (an Frauen* und Kindern) öffentlich stark thematisierte, liegt lange zurück und auch die MeToo-Protestbewegung in den sozialen Netzwerken konnte in Österreich kaum zu einem Diskurswandel beitragen. Insbesondere das Thema sexualisierter Misshandlung von Kindern und Jugendlichen im Erziehungskontext ist immer noch von kollektiven Ausblendungen umgeben, was dafür sorgt, dass das Sprechen über eigens erlebte sexualisierte Gewaltwiderfahrnisse mit erheblichen sozialen und gesellschaftlichen Hürden verbunden bleibt. Der Prozess des „zur Sprache bringens“ von sexualisierten Gewalterfahrungen in Kindheit (und Jugend) bzw. das Thematisieren eben dieser stehen daher im Zentrum der vorliegenden Arbeit: Wie sprechen Personen, die in ihrer Kindheit (und Jugend) sexualisierte Gewalt erfahren haben über diese Erfahrungen und wie haben sie diese im Verlauf ihrer Biografie thematisiert und aus-gedrückt bzw. zur Sprache gebracht? Wie stellt sich die biografische Relevanz dieser Widerfahrnisse in den Lebenserzählungen der Biografieträger*innen dar? Für die Beantwortung dieser forschungsleitenden Fragen wurden lebensgeschichtlich narrative Interviews mit drei Frauen unterschiedlichen Alters geführt, die in ihrer Kindheit und Jugend von sexualisierte Gewalt im familiären Kontext betroffen waren. Die qualitative Annäherung an das Thema erfolgte anhand einer biografietheoretischen Herangehensweise sowie einem emotionssoziologischen, feministischen Forschungszugang. Im Rahmen der Auswertung mittels Narrationsanalyse wurden subjektive Erfahrungen tiefgehend analysiert. Hinter diesem Vorgehen steht die Annahme, dass der Prozess der individuellen Versprachlichung in einem Wechselverhältnis mit Gesellschaft sowie sozialen Verhältnissen steht. Die im Datenmaterial rekonstruierten kommunikativen Prozesse, die eine starke körperlich/leibliche Dimension aufwiesen, machten im Wie der zur Sprache gebrachten sexualisierten Gewalterfahrungen deutlich, dass das Thematisieren Können bzw. Nicht-Können dieser spezifischen Widerfahrnisse über die individuell-psychologische Ebene weit hinausgeht. Die sexualisierten Gewalterfahrungen kommen auch durch körperliche Artikulationen oder performative Praktiken, die den Körper als zentrales Ausdrucksmittel verwenden, prozesshaft zur Sprache. Sprechen zeigt sich nicht als ausschließlich phonetisches Sprechen, sondern außerdem als ein doing in einem Prozess, in dem der Körper einen performativen Charakter des Sprechens übernimmt. Mithilfe des Körpers können Dinge ausgedrückt werden, die verbal nicht zur Sprache gebracht werden können. So gesehen kann der eigenen Körper als Ausdrucksmittel für den Konflikt zwischen Sprechen und Nicht-Sprechen verstanden werden, insbesondere im Zusammenhang mit selbstschädigenden bzw. selbstverletzenden Praktiken. Soziales, Kultur und Gesellschaft kommen dabei ebenfalls mit zur Sprache. Hürden bei der Thematisierung der Gewalterfahrungen sind die Angst, dass einem (als Heranwachsende) nicht geglaubt wird, eine individualisierende Erfahrungshaltung in der eigene Gewaltwiderfahrnisse als „private“ Angelegenheit verstanden werden, aber auch fehlende Worte und Erinnerungen, die dazu nötig wären Gewalterfahrungen überhaupt erst Versprachlichen zu können. Darüber hinaus findet sich bei allen Biografieträgerinnen eine Verschränkung von unterschiedlichen Gewaltformen- und -kontexten in Kindheit und Jugend, sowie emotionale oder verbale Gewalt und Misshandlung im familiären Rahmen.