Abstract (deu)
Das digitale Zeitalter geht mit der Herausbildung von Rechenschaftsstrategien in der Form von Hashtag-Aktivismus oder sogenannten „Callouts“ einher. Jene wurden ursprünglich von PoC eingesetzt und dienten zunächst als (humorvolle) gruppeninterne Kontrollmechanismen. Konservative politische Bewegungen deuteten die ursprüngliche Bedeutung dieser Strategien um und verbreiteten in den 1990er Jahren das Narrativ einer Krise der politischen Korrektheit. Diese Argumente finden derzeit in Cancel Culture-Diskussionen erneut Anwendung. Das Bild einer homogenen politischen linken Bewegung, die das Recht der freien Meinungsäußerung einschränken will, wird gezeichnet. Ebenso wird behauptet, dass diese Bestrebungen auf Universitätscampi entstünden, in jenem Kontext gefördert und sich in der digitalen Sphäre über Social-Media-Plattformen rasch und wirkungsmächtig verbreiten würden. In diesem Zusammenhang lässt sich festhalten, dass das Internet einerseits die Teilhabe marginalisierter Stimmen an der öffentlichen Debatte ermöglicht, andererseits deren Sichtbarkeit und damit die Gefahr von Drohungen und Angriffen erhöht. Diese Arbeit setzt sich mit den laufenden Debatten rund um die Rechte von transgeschlechtlichen Personen, deren Ausverhandlung und der Frage, ob "Cancel Culture" Vorwürfe in jenen inhärent sind. In dieser Arbeit wird argumentiert, dass die Verurteilung und Anerkennung der Existenz von Cancel Culture einen populistischen Diskurs darstellt und eine moralische Panik widerspiegelt, die durch die Beschwörung von Zerstörungsängsten, wie z. B. dem Verlust eines vermeintlichen Status quo, der durch patriarchale Geschlechternormen oder das Recht auf freie Meinungsäußerung geprägt ist. Darüber hinaus wird der Begriff Cancel Culture im Hinblick auf Performativitätsprozesse und wie jene Gefühle von Wut, Scham oder Schuld hervorrufen untersucht. Die Darstellung von Trans-Rechts-Aktivistinnen als aggressive, gewalttätige und infolgedessen hasserfüllte Subjekte rechtfertigt ihre Ablehnung als Teil der feministischen Bewegung und verstärkt den Affekt, der zur Gruppenbildung beiträgt und wiederholt Ängste vor Zerstörung hervorruft. Das Ziel dieser Arbeit ist es Darstellungen von Cancel Culture in diskriminierungskritischen Kontexten zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurde eine kritische Diskursanalyse von acht feministischen Essays beziehungswiese Interviews, die sich mit Online-Rechenschaftspraktiken und Trans-Rechts-Debatten befassen, durchgeführt. Die Analyse ergibt, dass Feministinnen im Gegensatz zum dominanten, medialen Cancel Culture Diskurs, der bereits in bestehenden Studien untersucht wurde, dazu neigen, ein differenziertes Bild von online Call-outs zu zeichnen, sowohl deren Vor- als auch Nachteile zu betrachten und sie mit Offline-Herausforderungen sowie realen Ängsten zu verknüpfen. Der zukünftigen Zusammenarbeit unter Feministinnen und der Notwendigkeit, sich auf Werte wie Respekt, Wohlwollen und „Care“ in der Kommunikation zu konzentrieren, wird große Bedeutung beigemessen. Darüber ließ sich feststellen, dass das Verständnis und die Definition des Begriffs Cancelling je nach der vorherrschenden politischen Stimmungslage im untersuchten gesellschaftlichen Kontext variieren. Die Identifizierung feministischer Cancel Culture Framings ist unabdingbar, um sicherzustellen, dass Feminist:innen populistischer Argumente welche die feministische Bewegung schwächen und marginalisierte Gruppen an den Rand der öffentlichen Debatte drängen enttarnen anstatt sie zu reproduzieren.