You are here: University of Vienna PHAIDRA Detail o:2045596
Title (deu)
Revising remembrance
über die Bedeutung der Ahnenforschung für eine kritische Verhältnisbestimmung von NS-Täternachfahr:innen zum Nationalsozialismus
Parallel title (eng)
Revising remembrance
on the role of genealogical research for a critical assessment of the relation of Nazi perpetrators' descendants to National Socialism
Author
Jonas Herb
Adviser
Karin Liebhart
Assessor
Karin Liebhart
Abstract (deu)
Mit dem Ableben der Zeitzeug:innen der Shoa bzw. des Nationalsozialismus steht die deutsche Gesellschaft vor einer erinnerungspolitischen Schwelle, an der sich wegweisende Veränderungen im kollektiven Gedenken abzeichnen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Überlieferung der NS-Familiengeschichte in Täter:innenfamilien über diverse Tradierungsmechanismen verläuft, die die zur NS-Zeit schuldfähigen Angehörigen in ein positives Licht rücken und das familiäre Selbstkonzept stärken. Auf Ebene der öffentlichen Erinnerungskultur in Deutschland zeigt sich derweil ein Akt der Umwertung: Mit der Behauptung der Täternachfahr:innen, angemessen erinnert und aus der Geschichte gelernt zu haben, gerinnt das Shoa-Gedenken zu einem Akt der kollektiven Selbstvergewisserung, der darauf abzielt, mit der Vergangenheit abzuschließen. In beiden Fällen wird die millionenfache Verstrickung der Deutschen in die NS-Verbrechen ausgeblendet und die Geschichte des Nationalsozialismus verzerrt. Die konkrete Täter- als auch Opferschaft droht in Vergessenheit zu geraten und nationale Identifikationsangebote gewinnen für die Täternachfahr:innen an Attraktivität. Um dieser Tendenz Einhalt zu gebieten sucht die vorliegende Arbeit nach Erinnerungs-formen und -praktiken, die sich beidem entgegenstellen. Dabei wird die Frage aufgeworfen, inwiefern die Ahnenforschung hierfür ein adäquates Mittel darstellt und inwieweit durch sie eine kritische Verhältnisbestimmung zum Nationalsozialismus ermöglicht wird. Um der Frage nachzugehen werden Interviews mit Urenkel:innen von NS-Täter:innen analysiert, die das Verhältnis zwischen Familienerzählungen und Wissensbeständen aus familiär-historischen Dokumenten thematisieren. Die Analyseergebnisse werden im Lichte der Gedächtnistheorien von Maurice Halbwachs, Jan Assmann und Harald Welzer betrachtet und mit Hilfe von Walter Benjamins herrschaftskritischem Geschichtsbegriff interpretiert. Auf diese Weise wird u.a. gezeigt, dass es den Urenkel:innen der Täter:innen durch die Ahnenforschung möglich ist, sich in der Tradition ihrer schuldfähigen Vorfahr:innen zu verorten, die Bedeutung der NS-Familienvergangenheit für die Gegenwart erschließen und an uneingelöste Handlungspotentiale der Vergangenheit anzuknüpfen. Das bedeutet für die Befragten sich an die Seite marginalisierter Gruppen zu stellen, rezente Formen des Rechtsradikalismus zu bekämpfen und sich selbst mit dem Leben und der Ermordung der NS-Opfer zu konfrontieren. Die kritische Verhältnisbestimmung der Befragten zum Nationalsozialismus äußert sich zudem darin, dass sie zwar einerseits geschichtsverzerrende Familienerzählungen zurückweisen, aber andererseits auch versuchen, ihre Vorfahr:innen in ihrer Widersprüchlichkeit zu sehen. Nicht zuletzt verwerfen sie die Möglichkeit, mit der NS-Vergangenheit abzuschließen und wagen stattdessen den verantwortungsbewussten Umgang mit der Vergangenheit in einer demütigen Haltung. Dabei wird deutlich: Die Ahnenforschung stellt keine Erlösung vom Täter:innenzusammenhang in Aussicht.
Abstract (eng)
As contemporary witnesses of the Shoa and National Socialism pass away, German so-ciety is facing a political tipping point in regards to collective memory, where significant changes are emerging. Numerous studies indicate that the passing on of NS family history within perpetrator families takes place via various mechanism of tradition, which portray the ancestors in a positive light and thereby strengthen the family's self-concept. At the same time, there is a shift in the German culture of remembrance (Erinnerungskultur): The commemoration of the Shoa is turning into an act of collective self-assurance because the descendants of the perpetrators claim to have learnt from history rendering their act of remembering adequate. This effort is aimed at closing this chapter of history. Both cases overlook the fact that millions of Germans were involved in the crimes of the Nazi regime, which in turn distorts the history of National Socialism. Both, the actual perpetratorship and the victimhood risk fading into oblivion, while the proposition and acceptance of national identification becomes more attractive to the perpetrators' descendants. To counter this trend, this thesis examines forms and practices of remembrance that oppose these tendencies. The question is raised to what extent genealogical research is an adequate means of doing so and to what extent it enables a critical assessment and under-standing of National Socialism. In order to address this question, interviews with great-grandchildren of Nazi perpetrators are analysed, which focus on the relationship between family narratives and knowledge derived from familial-historical documents. The results of the analyses are then considered in the light of the memory theories of Maurice Halbwachs, Jan Assmann and Harald Welzer and are finally interpreted using Walter Benjamin's critical conception of history. It is shown that genealogical research enables the great-grandchildren of NS-perpetrators to locate themselves within the tradition of their guilty ancestors. This leads them to comprehend the significance of the NS family history for the present and to tie in to unrealised potential for action from the past. For those surveyed, this entails standing alongside marginalised groups, combating recent forms of right-wing radicalism and confronting themselves with the lives and murders of the victims of the NS regime. The interviewees' critical attitude towards National Socialism is also expressed in the fact that, on the one hand, they reject family narratives that distort history, but on the other hand, they also try to see the contradictions within their ancestors. Finally, they dismiss the possibility of closure regarding the Nazi past. Instead, they humbly assume responsibility for their engagement with the past. In doing this, it becomes evident: genealogical research does not offer the prospect of redemption from the perpetrator context.
Keywords (deu)
NationalsozialismusShoaShoahHolocaustTäterTäternachfahrenUrenkelUrenkelgenerationAhnenforschungErinnerungskulturkollektives Gedächtniskommunikatives Gedächtniskulturelles GedächtnisErinnerungWiedergutwerdungGeschichteZeitzeugenNaziWalter BenjaminAktualisierungkritisch
Keywords (eng)
National socialismShoaShoahHolocaustperpetratordescendants of perpetratorsgreat-grandchildrengenealogical researchErinnerungskulturcollective memorycommunicative memmorycultural memoryremembranceHistorytime witnessesNaziWalter Benjaminactualisationcritical
Subject (deu)
Subject (deu)
Subject (deu)
Subject (deu)
Type (deu)
Persistent identifier
https://phaidra.univie.ac.at/o:2045596
rdau:P60550 (deu)
108, XXVI Seiten : Illustrationen
Number of pages
134
Members (1)
Title (deu)
Revising remembrance
über die Bedeutung der Ahnenforschung für eine kritische Verhältnisbestimmung von NS-Täternachfahr:innen zum Nationalsozialismus
Parallel title (eng)
Revising remembrance
on the role of genealogical research for a critical assessment of the relation of Nazi perpetrators' descendants to National Socialism
Author
Jonas Herb
Abstract (deu)
Mit dem Ableben der Zeitzeug:innen der Shoa bzw. des Nationalsozialismus steht die deutsche Gesellschaft vor einer erinnerungspolitischen Schwelle, an der sich wegweisende Veränderungen im kollektiven Gedenken abzeichnen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Überlieferung der NS-Familiengeschichte in Täter:innenfamilien über diverse Tradierungsmechanismen verläuft, die die zur NS-Zeit schuldfähigen Angehörigen in ein positives Licht rücken und das familiäre Selbstkonzept stärken. Auf Ebene der öffentlichen Erinnerungskultur in Deutschland zeigt sich derweil ein Akt der Umwertung: Mit der Behauptung der Täternachfahr:innen, angemessen erinnert und aus der Geschichte gelernt zu haben, gerinnt das Shoa-Gedenken zu einem Akt der kollektiven Selbstvergewisserung, der darauf abzielt, mit der Vergangenheit abzuschließen. In beiden Fällen wird die millionenfache Verstrickung der Deutschen in die NS-Verbrechen ausgeblendet und die Geschichte des Nationalsozialismus verzerrt. Die konkrete Täter- als auch Opferschaft droht in Vergessenheit zu geraten und nationale Identifikationsangebote gewinnen für die Täternachfahr:innen an Attraktivität. Um dieser Tendenz Einhalt zu gebieten sucht die vorliegende Arbeit nach Erinnerungs-formen und -praktiken, die sich beidem entgegenstellen. Dabei wird die Frage aufgeworfen, inwiefern die Ahnenforschung hierfür ein adäquates Mittel darstellt und inwieweit durch sie eine kritische Verhältnisbestimmung zum Nationalsozialismus ermöglicht wird. Um der Frage nachzugehen werden Interviews mit Urenkel:innen von NS-Täter:innen analysiert, die das Verhältnis zwischen Familienerzählungen und Wissensbeständen aus familiär-historischen Dokumenten thematisieren. Die Analyseergebnisse werden im Lichte der Gedächtnistheorien von Maurice Halbwachs, Jan Assmann und Harald Welzer betrachtet und mit Hilfe von Walter Benjamins herrschaftskritischem Geschichtsbegriff interpretiert. Auf diese Weise wird u.a. gezeigt, dass es den Urenkel:innen der Täter:innen durch die Ahnenforschung möglich ist, sich in der Tradition ihrer schuldfähigen Vorfahr:innen zu verorten, die Bedeutung der NS-Familienvergangenheit für die Gegenwart erschließen und an uneingelöste Handlungspotentiale der Vergangenheit anzuknüpfen. Das bedeutet für die Befragten sich an die Seite marginalisierter Gruppen zu stellen, rezente Formen des Rechtsradikalismus zu bekämpfen und sich selbst mit dem Leben und der Ermordung der NS-Opfer zu konfrontieren. Die kritische Verhältnisbestimmung der Befragten zum Nationalsozialismus äußert sich zudem darin, dass sie zwar einerseits geschichtsverzerrende Familienerzählungen zurückweisen, aber andererseits auch versuchen, ihre Vorfahr:innen in ihrer Widersprüchlichkeit zu sehen. Nicht zuletzt verwerfen sie die Möglichkeit, mit der NS-Vergangenheit abzuschließen und wagen stattdessen den verantwortungsbewussten Umgang mit der Vergangenheit in einer demütigen Haltung. Dabei wird deutlich: Die Ahnenforschung stellt keine Erlösung vom Täter:innenzusammenhang in Aussicht.
Abstract (eng)
As contemporary witnesses of the Shoa and National Socialism pass away, German so-ciety is facing a political tipping point in regards to collective memory, where significant changes are emerging. Numerous studies indicate that the passing on of NS family history within perpetrator families takes place via various mechanism of tradition, which portray the ancestors in a positive light and thereby strengthen the family's self-concept. At the same time, there is a shift in the German culture of remembrance (Erinnerungskultur): The commemoration of the Shoa is turning into an act of collective self-assurance because the descendants of the perpetrators claim to have learnt from history rendering their act of remembering adequate. This effort is aimed at closing this chapter of history. Both cases overlook the fact that millions of Germans were involved in the crimes of the Nazi regime, which in turn distorts the history of National Socialism. Both, the actual perpetratorship and the victimhood risk fading into oblivion, while the proposition and acceptance of national identification becomes more attractive to the perpetrators' descendants. To counter this trend, this thesis examines forms and practices of remembrance that oppose these tendencies. The question is raised to what extent genealogical research is an adequate means of doing so and to what extent it enables a critical assessment and under-standing of National Socialism. In order to address this question, interviews with great-grandchildren of Nazi perpetrators are analysed, which focus on the relationship between family narratives and knowledge derived from familial-historical documents. The results of the analyses are then considered in the light of the memory theories of Maurice Halbwachs, Jan Assmann and Harald Welzer and are finally interpreted using Walter Benjamin's critical conception of history. It is shown that genealogical research enables the great-grandchildren of NS-perpetrators to locate themselves within the tradition of their guilty ancestors. This leads them to comprehend the significance of the NS family history for the present and to tie in to unrealised potential for action from the past. For those surveyed, this entails standing alongside marginalised groups, combating recent forms of right-wing radicalism and confronting themselves with the lives and murders of the victims of the NS regime. The interviewees' critical attitude towards National Socialism is also expressed in the fact that, on the one hand, they reject family narratives that distort history, but on the other hand, they also try to see the contradictions within their ancestors. Finally, they dismiss the possibility of closure regarding the Nazi past. Instead, they humbly assume responsibility for their engagement with the past. In doing this, it becomes evident: genealogical research does not offer the prospect of redemption from the perpetrator context.
Keywords (deu)
NationalsozialismusShoaShoahHolocaustTäterTäternachfahrenUrenkelUrenkelgenerationAhnenforschungErinnerungskulturkollektives Gedächtniskommunikatives Gedächtniskulturelles GedächtnisErinnerungWiedergutwerdungGeschichteZeitzeugenNaziWalter BenjaminAktualisierungkritisch
Keywords (eng)
National socialismShoaShoahHolocaustperpetratordescendants of perpetratorsgreat-grandchildrengenealogical researchErinnerungskulturcollective memorycommunicative memmorycultural memoryremembranceHistorytime witnessesNaziWalter Benjaminactualisationcritical
Subject (deu)
Subject (deu)
Subject (deu)
Subject (deu)
Type (deu)
Persistent identifier
https://phaidra.univie.ac.at/o:2054366
Number of pages
134