Bereits vor Giovanni Boccaccio, der mit seinem Decameron im 14. Jahrhundert die erste Novellensammlung schuf, gab es narrative Kurzformen, wie zum Beispiel die Lais der Marie de France, die der Belehrung dienenden Exempla sowie die heiteren Fabliaux. Züge dieser Gattungen fanden Eingang in Boccaccios einhundert Novellen, die zu einem gesamteuropäischen Erfolg wurden und zahlreiche Nachahmer fanden. Die erste französische Novellensammlung, die Cent Nouvelles nouvelles, entsteht in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und markiert den Beginn einer reichen Novellenproduktion, die sich auch im 16. Jahrhundert fortsetzt. 1515 erscheinen die Cent Nouvelles nouvelles von Philippe de Vigneulles, einundzwanzig Jahre später veröffentlicht Nicolas de Troyes seinen Grand Parangon des Nouvelles nouvelles und 1547 erscheinen die Propos rustiques von Noël du Fail. Selbst die Königin von Navarra interessiert sich für das noch junge Genre der Novelle und verfasst ihre ganz eigene Novellensammlung, die 1559 postum unter dem Titel Heptaméron veröffentlicht wird. Obwohl Margarete von Navarra einerseits der traditionellen Konzeption der Novelle ihrer Zeit folgt, geht sie andererseits auch eigene Wege und schafft auf diese Weise einen bis dato in Frankreich noch nicht realisierten Novellentyp, nämlich den der Problemnovelle, der vor ihr nur von Boccaccio verwirklicht wurde. Das unvollendete Werk der Margarete von Navarra gilt als Höhepunkt der französischen Novellistik des 16. Jahrhunderts.