Abstract (deu)
Die vorliegende Arbeit rückt das literarische Kaffeehaus in ihr Zentrum und versucht zu ergründen, ob diese Einrichtung den Literaten tatsächlich als Schreibstube oder ob sie nicht vielmehr seinen literarischen Stammgästen als Bühne der Selbstdarstellung diente.
Die Untersuchung nimmt ihren Ausgangspunkt in jener Epoche, in welcher die literarischen Kaffeehäuser ihre Blütezeit erfuhren, nämlich in der Zeit von 1890 bis 1930/50. Die Gattungsbezeichnung „Kaffeehausliteratur“ zeugt von der engen Symbiose, die das Kaffeehaus und die Literatur am Vorabend der beiden Weltkriege eingingen und der in der Literaturgeschichte nichts Vergleichbares zur Seite gestellt werden kann. Die Literaten der Moderne verstanden es, die eifrig betriebene Tradierung des literarischen Kaffeehauses mit zahlreichen Texten und überlieferten Bonmots zu bereichern und trugen somit nicht unwesentlich zur bis heute nachwirkenden Mythisierung des literarischen Kaffeehauses im Wien der Jahrhundertwende bei. Anhand dieser Texte sollen die Riten, Normen, Regeln, Gepflogen- und Gegebenheiten der drei großen Wiener Literatencafès, des Café Griensteidl, Central und Herrenhof, zu erforschen versucht werden. Es wird offenkundig werden, dass die literarischen Kaffeehäuser sich durch einen unvergleichlich ambivalenten Charakter auszeichneten. Diese Doppelbödigkeit wird sich auch zeigen, wenn dem Kaffeehaus die Doppelfunktion als Stätte des Literaturdiskurses sowie als Bühne der Inszenierung nachgewiesen wird.
Im zweiten Teil der Arbeit richtet sich der Fokus schließlich auf die Literaten der Nachkriegszeit bis hinauf zur Gegenwart und deren Beziehung zum Kaffeehaus des 21. Jahrhunderts. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es vereinzelt Bemühungen, an die literarische Kaffeehauskultur der Moderne anzuknüpfen. Wenn diese auch scheiterten, so darf daraus nicht automatisch gefolgert werden, dass das Kaffeehaus im Bewusstsein der Autoren des 21. Jahrhunderts keinerlei Bedeutung einnimmt. So gilt es zu eruieren, über welche Bedeutung der Kontext Kaffeehaus für gegenwärtige Autoren verfügt. Im Vergleich mit der literarischen Kaffeehauskultur der Moderne wird sich zeigen, dass das Kaffeehaus, vor allem in den späten siebziger und beginnenden achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, einen weitreichenden Funktionswandel erfuhr. So gilt das Kaffeehaus heute beispielsweise primär als Stätte des gelebten Individualismus, während am Vorabend des Ersten Weltkriegs literarische Stammtisch-Runden das Gesicht der Kaffeehauskultur prägten. Auch das Kaffeehaus der Gegenwart aber verfügt über einen, wenn auch deutlich geringer ausgeprägten, ambivalenten Charakter. So konstituiert sich das Kaffeehaus, ähnlich dem literarischen Kaffeehaus im Fin de siècle, auch heute als Melange aus Schreibstube und Bühne.