Abstract (deu)
Die bauhistorische Untersuchung der Göttweiger Stiftskirche erbrachte – in Verbindung mit der genauen Auswertung schriftlicher sowie bildlicher Quellen – Aufschluss über deren mittelalterliche sowie neuzeitliche Baugeschichte.
Bildliche Quellen sowie vor allem die erhaltene – vom Dachraum aus sichtbare – Bausubstanz ermöglichten eine nahezu vollständige Rekonstruktion des durch den Gründer Bischof Altmann von Passau 1083 geweihten, unter dem Benediktinerabt Hartmann fertig gestellten und durch Bischof Ulrich I. von Passau 1096 neuerlich konsekrierten Gründungsbaues.
Es konnte nachgewiesen werden, dass Anfang des 17. Jahrhunderts das Langhaus der Göttweiger Stiftskirche nicht – wie bislang angenommen wurde – neu errichtet wurde, sondern das spätgotisch veränderte, basilikale dreischiffige Langhaus des späten 11. Jahrhunderts nur teils um- beziehungsweise neuerbaut und erhöht wurde.
Das Langhaus schloss ein Westwerk in Form einer Doppelturmfassade mit angebauter Vorhalle ab. Im Osten erhob sich im Anschluss an den Lettner der über einer Krypta errichtete und gegenüber dem Langhaus erhöhte Chor. An das über die Flucht der Seitenschiffe ausladende, mit ostseitigen Apsiden besetzte Querhaus setzte ein Chorquadrat mit Hauptapsis an. Über der Vierung erhob sich – zumindest dem ältesten Konventssiegel zufolge – ein weiterer hoher Turm.
Vorbild für die Göttweiger Stiftskirche Altmanns dürften die 1051 geweihte Goslarer Stiftskirche sowie die 1059-1071 errichtete ehemalige Kirche des Aureliusklosters in Hirsau gewesen sein. Das Motiv der Doppelturmfassade wählte Altmann aber wohl auch bewusst in Anspielung auf den Passauer Pilgrim Dom, dem Zentrum seiner Diözese, in das er nicht mehr zurückkehren konnte. Die einst weithin sichtbare Doppelturmanlage der Göttweiger Stiftskirche war somit auch als Symbol bischöflicher Macht zu verstehen. Auf den Gründer geht ferner die Errichtung der unterhalb des Chores gelegenen Krypta zurück, die er als seine Grablege anlegen ließ.
Prägten die den Hirsauer Baugepflogenheiten sowie die der Junggorzer-Reform nahe stehenden Vorgaben Altmanns das Aussehen des Göttweiger Gründungsbaues, so waren abermals Reformideen ausschlaggebend für dessen spätgotische Umgestaltung.
Der ab 1418 ausstrahlenden Melker Reform folgend, kam es in Göttweig zum Neubau des Chores beziehungsweise der darunter befindlichen, spätestens 1433 vollendeten Krypta. Die 1439 erfolgte Weihe der im Bereich des ehemaligen Nordquerhauses gelegenen Peter- und Paulskapelle – der heutigen Wintersakristei – bedingt, dass der Chor der Stiftskirche zu dieser Zeit zumindest im Rohbau hochgeführt gewesen sein muss. Die endgültige Fertigstellung des bereits im Jahre 1456 durch den Passauer Weihbischof Sigmund von Salona geweihten Chorbaues dürfte jedoch noch bis 1461 angedauert haben. Zeitgleich mit diesem errichtete man auch die südliche Chorkapelle, die heutige Sommersakristei.
Die spätgotischen Bautätigkeiten betrafen jedoch nicht nur den Ostbereich der Stiftskirche. Auch das romanische Langhaus und dessen abschließende Doppelturmfassade erfuhren eine wesentliche bauliche Umgestaltung.
Die spätgotischen Strebepfeiler an der südlichen Hochschiffwand legen eine – zumindest geplante – Einwölbung des Mittelschiffes, das durch hohe Spitzbogenfenster belichtet wurde, nahe.
Ferner wurden die oberen Bereiche der über quadratischem Grundriss hochgeführten romanischen Westtürme bis etwa auf die Traufhöhe des Langhauses abgetragen und durch oktogonale Türme ersetzt.
Verantwortlich für den Entwurf des Chores zeichnete wohl der Steiner Bürger und Steinmetz Ulrich Nußdorfer, dem nach dessen Tod der vermutlich aus Krems stammende Steinmetzmeister Niklas nachfolgte.
Spätestens in den 1450er Jahren kam es zu Adaptierungen des Erstentwurfes, die vor allem die Steinmetzarbeiten betrafen. Die Gewölbeform, die Profilierung der Dienstbündel sowie die Gestaltung der Maßwerke zeigen starke Übereinstimmungen beziehungsweise vereinzelt gar idente Lösungen mit etwa zeitgleichen Bauten sowie Entwürfen, die auf die Wiener Dombauhütte beziehungsweise auf den damaligen Dombaumeister Laurenz Spenning selbst zurückgehen. Vielleicht ist die Beteiligung der Wiener Hütte beziehungsweise deren Meister Laurenz Spenning auf Meister Niklas zurückzuführen, der zuvor möglicherweise am Bau des von Spenning entworfenen Chores der Kremser Piaristenkirche tätig gewesen ist.
Weiters erbrachte die bauhistorische Untersuchung Aufschlüsse über die neuzeitlichen Umbauten beziehungsweise Veränderungen insbesondere am Langhaus der Stiftskirche.
Als erste nachmittelalterliche Baumaßnahme an der Stiftskirche konnte eine renaissancezeitliche Einwölbung des Nordseitenschiffes in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts nachgewiesen werden.
Ab 1635/1636 wurde das basilikale dreischiffige Langhaus zu einem frühbarocken Saal mit begleitenden Seitenkapellen umgestaltet. Die Arbeiten waren 1642 offensichtlich soweit fortgeschritten, dass man in diesem Jahr die Kanzel aufhängen konnte. Während die Stuckausstattung sowie die Freskierung des Langhauses noch bis in die 1680er Jahre andauerten, scheint der Abschluss der baulichen Maßnahmen bereits im Jahr 1668 erfolgt zu sein.
Der Großbrand des Jahres 1718, dem große Teile des Stiftes zum Opfer fielen, richtete an der Stiftskirche nur geringen Schaden an. Ihr wurde – nachdem der geplante spätbarocke Neubau nicht realisiert werden konnte – ab 1754 die heutige Westfassade mit Portikus und flankierenden Türmen sowie 1764/1765 die Freitreppe vorgelagert. Diese Arbeiten stellten – abgesehen von der Erneuerung sämtlicher Dachwerke gegen Ende des 18. Jahrhunderts – die letzten wesentlichen baulichen Veränderungen an der Stiftskirche dar.