Abstract (deu)
Die Untersuchung widmet sich dem plurilingualen Repertoire der komorischen SprecherInnengemeinschaften in Marseille und im transnationalen Raum unter primär funktionaler Perspektive. Dieses sprachliche Repertoire umfasst potentiell sechs verschiedene Sprachen und deren Varietäten: Komorisch (bestehend aus vier inselspezifischen Varietäten bzw. Dialekten: ShiNgazidja/Grande Comore, ShiMwali/Mohéli, ShiNdzuani/Anjouan, ShiMaore/Mayotte), Swahili, Arabisch, Französisch, Malagasy und ShiBushi. Ausgehend von einer Analyse des soziolinguistischen Kontextes auf den Komoren und in Frankreich, der Untersuchung von Spracheinstellung und Sprachverwendung, Status, Prestige und Funktion wird aufgezeigt, wie sich die individuelle und kollektive Mehrsprachigkeit gestaltet.
Zunächst liegt der Fokus auf dem Status und dem damit verbundenen Prestige, das die SprecherInnen den einzelnen Varietäten und Sprachen zuweisen. Damit verbunden ist auch die Funktionalität der Sprachen und Varietäten in ihrem spezifischen Kontext. Die sprachliche Situation auf den Komoren zeichnet sich dadurch aus, dass neben den komorischen Varietäten seit Beginn der Seefahrt auch Arabisch und Swahili eine Rolle spielen und seit der Kolonisation durch Frankreich auch Französisch. Die Migration der KomorianerInnen nach Frankreich brachte für die bereits plurilingualen KomorianerInnen der Erstgeneration deshalb keine traumatische neue Erfahrung mit einer unbekannten Sprache mit sich, sondern die KomorianerInnen fanden und finden sich in einer Umgebung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie von einem Code (Französisch) – über den die komorischen SprecherInnen innerhalb ihres plurilingualen Repertoires verfügen – dominiert ist.
Von besonderem Interesse ist der Umstand, dass im vorliegenden Fall Swahili, als eine der Sprachen im Repertoire der SprecherInnengemeinschaft, als Lingua Franca fungieren könnte, dies von den SprecherInnen aber sehr unterschiedlich beurteilt wird und es zeigt sich, dass Französisch in vielen Fällen die Rolle als Lingua Franca übernommen hat.
Eine linguistisch klare Abgrenzung der komorischen Varietäten gestaltet sich schwierig und auch die SprecherInnen selbst nehmen manchmal eine Differenzierung vor und manchmal nicht. Angenommen wird in diesem Zusammenhang, dass eine Unterscheidung der Varietäten durch SprecherInnen keine formal-linguistische Grundlage hat, sondern sowohl auf den komorischen Inseln, als auch in Frankreich identitätsstiftende Relevanz besitzt. Anhand von Interviewauszügen wird illustriert, wie Status, Prestige und Funktionen der Varietäten und Sprachen von den InterviewparterInnenexplizit und implizit zum Ausdruck gebracht und eingeschätzt werden.
In einem zweiten Teil wird die aktuelle Sprachverwendung der KomorianerInnen in Frankreich und im transnationalen Kontext mithilfe des Konzepts des plurilingualen Modus (Matras 2009) beschrieben und analysiert. Dieser plurilinguale Modus charakterisiert das Verhältnis der Sprachen/Codes in einem Repertoire. Innerhalb dieses Modus wird zwischen den Codes gewechselt; diese Wechsel werden mit Hilfe des Code-Copying Framework von Johanson (2002a, 2002b, 2002c) und des Matrix Language Frame Model von Myers-Scotton (2002, 2006) analysiert, wobei davon ausgegangen wird, dass die Codes keinem dominierten respektive dominanten Code entsprechen. Dabei zeigt sich, dass plurilinguale SprecherInnen einer multilingualen Gemeinschaft in einem spezifischen kommunikativen Kontext diejenigen sprachlichen Ressourcen verwenden, die ihnen für eine erfolgreiche Verständigung als zielführend erscheinen.
In einem letzten Teil werden die Strategien aufgezeigt, mit welchen sich die komorischen SprecherInnen eine der Situation angemessene soziale Identität (oder mehrere Identitäten) schaffen und auch, dass die SprecherInnen die individuelle Plurilingualität nicht mehr nur als problembehaftet einschätzen, sondern vermehrt den Wert ihrer Ressource erkennen und auch nutzen.