Abstract (deu)
In dieser Diplomarbeit wird das mittelalterliche altkroatische Rechtsdokument Istarski razvod linguistisch und semantisch analysiert. Der Istarski razvod (Istrische Grenzziehung, Istrischer Landschied) ist ein kroatisches, in kursiver Glagolica geschriebenes Schriftdenkmal, das die Grundstücksgrenzen zwischen einzelnen kroatischen Dorfgemeinden, dem Fürstentum von Pazin, dem Patriarchen von Aquileia und der Republik Venedig beschreibt und festlegt.
Die Arbeit beginnt mit einer kulturhistorischen Einleitung, in der der Istarski razvod (IR) vorgestellt wird.
Der Autor des IR, der Pope Mikula, Kaplan des Fürsten von Pazin und Pfarrer von Gola Gorica, Notar und Schreiber des Fürstentums, hat verschiedene Grenzziehungen und Urkunden, die zwischen 1275 und 1395 erstellt wurden, in einen Gesamttext zusammengefasst. Der Autor beschrieb tagebuchartig eine Geschichte des Grenzziehens und packte sie zeitlich in 21 Tage. Die Leistung des Schreibers bestand aber nicht nur darin, die ihm vorliegenden Dokumente durch Abschreiben und Übertragung in ein Sammelwerk zusammenzufassen. Er zeigte bildhaft das Leben der damaligen Gesellschaft und gab ein Zeugnis über die sozialen Verhältnisse der Dorfgemeinden, ihre Interessen und Schwierigkeiten. Deshalb wird der IR nicht nur als juristisch-administratives Dokument, sondern auch als literarischer Text1 aufgefasst. Bis heute ist die Authentizität des IR formal nicht vollständig bestätigt. Die Existenz namentlich genannter Personen, Ortschaften und der politischen Situationen ist aber belegt.
Der Hauptteil der Arbeit ist eine sprachliche Analyse, die sich mit phonologischen und morphologischen Besonderheiten des Istarski razvod beschäftigt. Der Istarski razvod wurde in der čakavischen literarischen Sprache angefertigt und mit Elementen der altkirchenslavischen Sprache versetzt. Er spiegelt das čakavische phonologische System des 14. Jahrhunderts wider, in dem nicht nur die Schreibtradition, sondern auch der Zustand der gesprochenen Sprache eine wesentliche Rolle spielten. Es werden sowohl die čakavischen Spezifika des Schriftdokumentes behandelt, wie auch Besonderheiten der allgemeinen Entwicklung der kroatischen Standardsprache, die auf einer štokavischen Grundlage aufbaut.
Kapitel 3 und 4 sind der Syntax und Stilistik des Dokumentes gewidmet, Kapitel 5 und 6 beschäftigen sich mit der Lexik. Es wurden eine Lehnwörterübersicht und ein Glossar der archaischen kroatischen Begriffe erstellt. Die zitierten Beispiele von Lexemen sind ins Deutsche übersetzt.
Der letzte Teil der Arbeit enthält einen kurzen Überblick der Geschichte Istriens, eine Abhandlung über die historischen Persönlichkeiten des Istarski razvod, eine kurze Übersicht über die im behandelten Dokument angeführten Ortschaften sowie eine Beschreibung des damaligen politisch-wirtschaftlichen und sozialen Systems.
Bei der Suche nach der Bedeutung der Wörter ist zu beobachten, dass Sprachwissenschaftler heutige dialektale Besonderheiten der istrischen Region zur Bestimmung der Bedeutung von Begriffen verwenden. Zum Beispiel interpretiert Skok das unbekannte Lexem mnel als dt. Eiche, da in Istrien noch immer dialektal die Form mjeu, Deminutiv mjelić, für dt. Eiche erhalten blieb (vgl. Skok II: 403f).
Die Lexik des IR bietet Anregungen zu weiteren semantischen Forschungen. Einige Wörter des IR scheinen von Wörtern abgeleitet zu sein, die viele Jahrhunderte vor der Erstellung des IR eine andere Bedeutung hatten (vgl. rota, ursprünglich ein Ort, an dem Schwüre geleistet werden → zur Zeit des IR: der Schwurakt selbst → heutiges porota: Schwurgericht). Manchmal bleibt die Frage unbeantwortet, ob es sich um eine Neubildung oder um eine Bedeutungserweiterung bereits vorhandener heimischer Ausdrücke handelt. In diesem Zusammenhang kann ich nur den Worten des in dieser Arbeit so oft zitierten Josip Bratulić beipflichten: „U tom smislu: ne možemo reći da su istraživanja završena, nego da su započeta.2“ (Bratulić 1978: 207).