Abstract (deu)
Die vorliegende Arbeit stellt einen Überblick über die Quellen zum Mythos des Palamedes dar, von seiner ersten Nennung im epischen Kyklos bis zu Zeugnissen spätantiker und byzantinischer Gelehrter. Dieser Held vor Troia war, trotz oder gerade wegen seiner ähnlichen Eigenschaften und Zuständigkeitsbereiche, der schärfste Konkurrent des Odysseus. Besonderes Augenmerk wird auf die bestimmenden Merkmale der Palamedes-Figur gelegt: seine diplomatischen und organisatorischen Erfolge vor und während des troianischen Krieges, seine Erfindungen, für die er geradezu sprichwörtlich war, sein tragischer Tod durch die Hand oder Intrige des Odysseus und die Rache seines Vaters Nauplios für dieses Verbrechen. Auch die Autoren untraditioneller Varianten sollen zu Wort kommen. Neben literarischen Quellen werden auch bildliche Zeugnisse und deren Einbettung in den Mythos zur Betrachtung hinzugezogen. Thematisiert werden auch das rätselhafte Schweigen des Homer in Bezug auf Palamedes und die Erklärungsmodelle zu dieser Problematik.
Auch wenn es in dieser Arbeit primär um Palamedes geht, so muss doch Odysseus als seine wichtigste Kontrastfigur eine prominente Rolle einnehmen, zumal ihrer beider Charaktere durch den jeweils anderen erst konstituiert werden. Klug, eloquent und umsichtig als Berater sind sie beide, doch wo Palamedes integer, pragmatisch, schöpferisch kreativ und sozial umsichtig agiert, erscheint Odysseus neben ihm umso listiger und verschlagener. Der Mord an Palamedes, an einem Mitstreiter, einem Feind in den eigenen Reihen, stellt sich als Odysseus' schlimmste, schändlichste Tat dar. Von Odysseus im Mythos getötet wird Palamedes von diesem Gegenspieler auch aus unserem Bewusstsein als die sicher unspektakulärere Figur verdrängt. Dennoch: er ist ein interessanter und auch geheimnisvoller Heros, über dessen Herkunft und Bedeutung es viele Theorien gibt, und den genauer zu betrachten sich sehr lohnt. Palamedes tritt hier kurz heraus aus dem Schatten des Odysseus.