Abstract (deu)
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich aus der Perspektive der Science and Technology Studies (STS) mit Laborexperimenten in der Ökonomie. Traditionell waren die Wirtschafswissenschaften nicht-experimentell, doch seit den 1980er Jahren haben sich mit Behavioural Economics (Verhaltensökonomie) und Experimental Economics (Experimenteller Ökonomie) zwei Subdisziplinen herausgebildet, in denen Laborexperimente eine zentrale Rolle spielen. In diesen Experimenten agieren die TeilnehmerInnen zumeist über Computernetzwerke miteinander und treffen Entscheidungen, deren Resultate direkt in finanzielle Einnahmen für die TeilnehmerInnen übersetzt werden.
Während die epistemischen Praktiken, die soziale Organisation und die materielle Kultur der Natur- und Lebenswissenschaften in zahlreichen wissenschaftssoziologischen Studien detailliert beschrieben wurden, hat die wissenschaftliche Praxis der Sozialwissenschaften insgesamt noch sehr wenig Aufmerksamkeit erfahren. Gerade zu experimentellen Praktiken in den Sozialwissenschaften, einschließlich der oben genannten ökonomischen Subdisziplinen, gibt es aus wissenssoziologischer Perspektive nur vereinzelte Beiträge.
Die vorliegende Arbeit unternimmt einen ersten Schritt, diese Lücke zu schließen. In Bezug auf die Vielfalt „epistemischer Kulturen“ (Knorr Cetina, 1999) und ihrer spezifischen Ansätze der Wissensproduktion stellt die Aneignung der experimentellen Methode in einer bisher nicht-experimentellen Disziplin einen interessanten Fall dar. Eine weitere Motivation ist der große institutionelle Einfluss der Ökonomie als akademischer Disziplin, sowie die zunehmende Bedeutung verhaltensökonomischer Maßnahmen in Politik und Verwaltung, die zum Teil auf Erkenntnissen aus Laborstudien beruhen.
In meiner Masterarbeit gehe ich den Fragen nach, wie sich ÖkonomInnen die Methode des Laborexperiments zu eigen machen, und nach welchen Prinzipien sie experimentelle Forschung bewerten. Diese Fragen beantworte ich anhand von sechs semi-strukturierten Interviews mit ForscherInnen am Vienna Center for Experimental Economics (VCEE) der Universität Wien, sowie durch Beobachtungen, die ich als Laborassistentin bei der Durchführung von Experimenten sammeln konnte. Sowohl Interviews als auch Beobachtungsnotizen wurden transkribiert und nach den Prinzipien der Grounded Theory (Charmaz, 2006) induktiv analysiert.
Ein zentrales Resultat meiner Analyse ist, dass Laborexperimente es möglich machen, Verhalten und Situationen zu produzieren, die sich an die Beschreibungen theoretischer Modelle annähern. Diese Annäherung wird durch mehrere Schritte der Reduktion erreicht: Die ForscherInnen identifizieren die aus ihrer Sicht fundamentalen ökonomischen Aspekte einer Situation, modellieren sie und benutzen diese Modelle als Grundlage eines experimentellen Designs. Dabei werden alle kontextspezifischen Elemente und Bedeutungen entfernt. In der Analyse der Gespräche zeigt sich, dass die epistemischen Praktiken der Forscherinnen durch eine Spannung zwischen theoriegeleiteten und beobachtungsgeleiten Ansätzen gekennzeichnet sind. So haben experimentelle Studien einerseits den Anspruch, die Erkenntnisse und Vorhersagen theoretischer Modelle zu überprüfen, und müssen diese daher möglichst genau umsetzen. Zum anderen dienen Laborexperimente aber auch dazu, Phänomene zu untersuchen, die mit standardtheoretischen Modellen nicht beschrieben werden können. Diese Spannung setzt sich in der mehrdeutigen Rolle der TeilnehmerInnen fort. Einerseits bringen sie durch ihr – in Bezug auf theoretische Vorhersagen – „nicht-rationales“ Verhalten einen epistemischen Mehrgewinn ein, und andererseits gefährden sie damit die Brauchbarkeit experimenteller Resultate. Dieses Risiko wird in Experimenten durch verschiedene Strategien vermindert, die den TeilnehmerInnen helfen sollen, strategisch günstiges Verhalten zu lernen.
In Bezug auf die Bewertungen experimenteller Forschung ergibt meine Analyse, dass die von mir Interviewten eine Vielzahl an Motivationen und unterschiedlichen Vorstellungen vom Nutzen experimenteller Studien und der idealen methodologischen Vorgehensweise haben. Viele dieser Vorstellungen werden aber letztlich der dringenderen Frage untergeordnet, ob eine Studie sich zur Publikation in hochrangingen Fachzeitschriften eignet. Was ForscherInnen als die Kriterien für solche Publikationen ansehen, beeinflusst daher ihre praktischen Entscheidungen während des gesamten Forschungsprozesses. In meiner Analyse zeigt sich, dass diese Kriterien einer bestimmten Konzeption von experimenteller Praxis entsprechen, wonach Experimente vor allem als Werkzeuge für die Evaluation und Weiterentwicklung aktueller ökonomischer Theorien anzusehen sind. Andere mögliche Funktionen von Experimenten, etwa die Suche nach bisher nicht theoretisierten Verhaltensformen, treten damit in den Hintergrund.
Historisch ist die Konzeption von Experimenten als (bloßem) Werkzeug der Theorieentwicklung in dem Bemühen begründet, experimentelle Forschung für den akademischen Mainstream interessant zu machen (vgl. Svorencik, 2015). Durch die zentrale Bedeutung von Publikationen in Fachzeitschriften ist dieser Theorie-fokussierte Ansatz bis heute so dominant, dass alternative Herangehensweisen von einigen meiner InterviewpartnerInnen als wenig aussichtsreich beschrieben wurden. Meine Analyse epistemischer und evaluativer Praktiken zeigt in diesem Fall die Einbettung zeitgenössischer Forschungspraktiken in institutionelle Logiken der Bewertung wissenschaftlicher Arbeit, und das mitunter konfliktreiche Verhältnis solcher Logiken und individueller Vorstellungen von guter wissenschaftlicher Praxis.