Abstract (deu)
Viele neurologische Erkrankungen können mit aktuellen in vitro und in vivo Modellen nicht
zufriedenstellend beschrieben werden, da entweder die komplexe 3D-Struktur eines Organs, oder der
menschliche genetische Hintergrund nicht vorhanden sind. In dieser Arbeit werden krankheitsrelevante
Mechanismen in zerebralen Organoiden beschrieben, dreidimensionale gehirnähnliche in vitro-Gewebe,
die in zukünftigen Studien bei der Forschung an neurologischen Erkrankungen helfen können. Wir
fokussieren uns auf die entwicklungsbiologischen Aspekte der Migration von Interneuronen und der
Neuralrohrfaltung, bei denen zerebrale Organoide einen Vorteil gegenüber anderen Modellsystemen
haben können. Außerdem wird die Entwicklung einer skalierbaren Plattform für das Wachstum von
zerebralen Organoiden präsentiert.
Neocorticale Interneurone haben eine wichtige regulatorische Funktion, da sie das inhibitorische
Potential im Gehirn modellieren. Kommt es zu einer Beeinträchtigung von bestimmten Interneuronen-
Subtypen, kann dies zu der Entwicklung von neurologischen Erkrankungen wie Schizophrenie und
Epilepsie führen. Während der Entwicklung des Neocortex haben Interneurone eine komplexe
Entwicklung, da sie von ihrem Entstehungsort im ventralen Prosencephalon tangential über lange
Strecken migrieren, bevor sie sich im dorsalen Prosencephalon in neuronale Schaltkreise integrieren.
Durch die Fusion von zwei unterschiedlich differenzierten zerebralen Organoiden, die das ventrale und
das dorsale Prosencephalon präsentieren, konnten wir eine ventral-dorsale Achse in zerebralen
Organoiden darstellen, an der Interneuronen von dem ventralen in den dorsalen Bereich migrieren.
Mithilfe von Immunfärbungen konnten verschiedene Interneuron-Subtypen nachgewiesen werden,
welche typische Migrationseigenschaften zeigten.
Dieses Interneuronen-Modell kann dazu benutzt werden, krankheitsrelevante Aspekte bei der
Entstehung, der Migration und der Integration von Interneuronen zu untersuchen. Außerdem können
Drug Screens für potentielle therapeutische Substanzen ausgeführt werden.
In einem zweiten Projekt wurden die Elemente der Neurulation und des Neuralrohrs in
neuronalen Rosetten von zerebralen Organoiden untersucht. Fehlbildungen des Neuralrohrs können zu
tödlichen oder stark beeinträchtigenden Effekten auf den entstehenden Embryo führen. Allerdings gibt
es signifikante Unterschiede in der Faltung des Neuralrohrs in menschlichen Embryos im Vergleich zu
den meisten eingesetzten Modellsystemen. Darum wäre ein Modellsystem mit menschlichem
genetischem Hintergrund von Interesse. Wir analysieren Ähnlichkeiten der Entwicklung des
Neuronalrohrs zwischen zerebralen Organoiden und der Neuralrohrentwicklung. Wir konnten zeigen,
dass die Zellen der frühen Entwicklung von neuronalen Rosetten in zerebralen von ähnlicher Identität
sind wie das Neuroepithelium. Außerdem präsentieren wir zwei modifizierte zerebrale Organoid-
Protokolle, die die Beobachtung von a) früh entwickelnden, struktur-stabilen neuronalen Rosetten, und
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b) faltungsähnlichen Strukturen erlaubt. Wir schlussfolgern aus diesen Ergebnissen, dass man in
zerebralen Organoiden einige, aber nicht alle Elemente eines Neuralrohrs beobachten kann.
Zuletzt werden die ersten Entwicklungsschritte eines Projektes diskutiert, welches Upscaling
des zerebralen Organoid-Protokolls erlauben soll. Das aktuelle Protokoll erfordert einen hohen
Arbeitsaufwand, weswegen ein vereinfachtes Protokoll auf einer all-in-one Plattform von großem
Nutzen wäre. In dieser Arbeit präsentieren wir Ergebnisse die zeigen, dass das Wachstum der initialen
Entwicklungsschritte von zerebralen Organoiden auf diesen Plattformen bereits möglich ist.
Wir hoffen, dass diese Plattform in späteren Entwicklungsschritten zu einem reduzierten
Arbeitsaufwand und zur automatisierten Produktion von zerebralen Organoiden führen wird.