Abstract (deu)
Menschen, die sich aufgrund von Kriegen und der damit verbundenen Bedrohung des leib-lichen Wohls gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen und Schutz in einem fremden Land zu suchen, weisen ein deutlich erhöhtes Risiko auf, physische oder psychosoziale Störungen zu entwickeln. Dieser Umstand ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass durch eine Flucht Widerstandsressourcen verloren gehen und traumatische Erlebnisse bzw. die Passivität im Exilland das Kohärenzgefühl negativ beeinflussen. Als Folge daraus verschiebt sich der individuelle Zustand auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum suk-zessive in Richtung des Krankheitspols, was eine verringerte Widerstandsfähigkeit gegen-über situativer Stressoren bedeutet. Die Bewegungstherapie setzt an diesem Erklärungs-modell an und versucht, durch körperliche Aktivitäten in einer Gruppe generalisierte Wider-standsressourcen wieder aufzubauen und das Kohärenzgefühl zu erhöhen. In den letzten Jahren konnten in diesem Setting bereits gute Erfolge erzielt werden.
Im Jahr 2013 wurde von dem Universitätssportzentrum Wien und dem Betreuungszentrum für Kriegs- und Folterüberlebende Hemayat das Projekt „Movi Kune – gemeinsam bewe-gen“ gegründet, welches sich zur Aufgabe gemacht hat, Bewegungshandlungen therapeu-tisch für traumatisierte Flüchtlinge einzusetzen und deren Wirkungsweisen zu erforschen. Angelehnt an dieses Projekt bildete sich im Frühjahr 2016 eine Gruppe von Studierenden, die das Konzept leicht adaptierte und mit Bewohnern eines Flüchtlingsheimes ein ähnliches Programm „CoMoTo – Come and Move Together“ initiierten. Das Ziel des Programms war es, die gesundheitliche Situation der Teilnehmer positiv zu beeinflussen und durch qualitati-ve Forschungsmethoden (Beobachtungen und Interviews) dafür verantwortliche Faktoren bzw. Prozesse zu identifizieren.
Die vorliegende Arbeit thematisiert die in diesem Projektverlauf bedeutenden Prozesse, die durch eine Einzelfallanalyse induktiv gebildet, an der restlichen Gruppe deduktiv geprüft und anschließend mit bestehenden Faktoren aus der Fachliteratur verglichen wurden. Der Titel „Bitte kommen, Sport“ resultiert beispielsweise aus einer Aussage des Teilnehmers, der das Subjekt der Einzelfallanalyse darstellte und durch seine Worte weitere Teilnehmer für eine Einheit mobilisieren wollte, was von einer beobachtenden Person in diesem Kontext als Indiz für motivationsfördernde und gruppenspezifische Prozesse interpretiert wurde. Im Zuge der weiteren Analyse konnten durch Beobachtungen dieser Art diverse physiologi-sche, psychologische, soziale, edukative und integrationsfördernde Faktoren vermutet wer-den. Als physiologische Prozesse waren hauptsächlich Veränderungen der konditionellen und koordinativen Parameter, sowie Linderungen bestehender Schmerzsymptome zu nen-nen. Psychische Prozesse entstanden durch vielfältige Erfahrungen, die Einzelpersonen im Laufe des Projekts beinahe ohne dem Zutun anderer Teilnehmer machen konnten und die in irgendeiner Form für das Individuum von Bedeutung waren. Selbstwirksamkeit, Achtsam-keit, Hoffnung, Motivation, Ablenkung, Grenzerfahrung und Entspannung konnten als sol-che Faktoren, die auf jeweils unterschiedliche Weise einen Beitrag zur Gesundheitsförde-rung liefern könnten, gebildet werden. Als soziale Prozesse, die durch Interaktionen mit anderen Teilnehmern der Bewegungsgruppe entstanden, sind Kohäsion, Modellernen, Mit-gestaltungsrecht, Allgemeingültigkeit, Unterstützung, Rücksichtnahme und Vertrauen zu nennen. Diese gehen auf Erfahrungen zurück, die ohne dem Handeln Anderer nicht mög-lich gewesen wären. Als weitere Gruppierung thematisieren edukative Prozesse den Er-werb von Handlungs- und Effektwissen, was Teilnehmer zum selbstorganisierten Bewe-gungshandeln befähigen kann. Die letzte Gruppe von Prozessen beinhaltet die in diesem Setting besonders relevanten Faktoren zur Integrationsförderung, wie das Erlernen der deutschen Sprache und den Kontakt zu einheimischen Menschen.
All diese Prozesse bzw. Faktoren werden in dieser Arbeit mit Beispielen, die zur Bildung der Kategorie geführt haben, erläutert und ausführlich diskutiert. Des Weiteren werden Verbin-dungen der einzelnen Faktoren zueinander diskutiert, da diese sich gegenseitig beeinflus-sen können und diese Wechselwirkungen nicht unterschätzt werden sollten. Die gewonnen Erkenntnisse sollen die Planung und Realisierung zukünftiger Interventionsprogramme er-leichtern bzw. unterstützen.