Abstract (deu)
Diese Arbeit greift unter dem breiten Spektrum der Abhängigkeitserkrankungen das Phänomen der Co-Abhängigkeit, der Mit-verstrickung der Angehörigen von nahestehenden Bezugspersonen mit einer Alkoholerkrankung auf. Ziel ist es, das in der Gesellschaft nicht ausreichend wahrgenommene Mit-gefangen-Sein im Suchtprozess eines Familienmitgliedes sichtbar zu machen und Wege aus dem Dilemma co-abhängigen Verhaltens zu entwickeln.
Im ersten Teil der Arbeit wird eine theoretische Grundlegung von Sucht/Abhängigkeit durchgeführt. Es werden Experten und Expertinnen vorgestellt, die sich mit dem Phänomen Co-Abhängigkeit auseinandergesetzt haben und deren Forschungsergebnisse näher dargestellt. Am Beginn der Forschung steht die Hauptthese, dass das Gottesbild co-abhängiger Personen negative Auswirkungen auf das Verbleiben in co-abhängigen Beziehungen hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Forschungsprojektes besteht darin, den Zusammenhang von Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe im Kontext von Co-Abhängigkeit zu beforschen.
Im zweiten Teil der Arbeit wird anhand richtungsweisender Studien zur Bedeutung des Religiösen und Spirituellen der religiöse und spiriturelle Kontext von Abhängigkeit entfaltet. Daran anschließend werden methodologische Vorüberlegungen angestellt.
Die Methodologie der empirischen Untersuchungen in zwei ausgewählten Al-Anon Gruppen für Angehörige von Alkoholkranken wird im dritten Teil der Arbeit vorgestellt. Das Forschungsfeld „Co-Abhängigkeit“ wurde mittels eines ethnographischen, explorativen Zuganges erschlossen. Die Feldforschung erstreckte sich über ein Jahr lang. Für die im Feld erhobenen Daten wurde das Verfahren der Grounded Theory nach Glaser/Strauss (1967) und Corbin/Strauss (22006) herangezogen. Gegen Ende des Feldaufenthaltes konnten mittels narrativer Interviews Einblicke in den biographischen Hintergrund, in persönliche Deutungsstrukturen und Aufschlüsse über Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe bei co-abhängigen Personen gewonnen werden.
Im vierten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse aus der Begegnung mit der Realität der Co-Abhängigkeit dargestellt. Aus den generierten Daten aus der teilnehmenden Beobachtung in ausgewählten Al-Anon Gruppen und aus den narrativen Interviews wurden Schlüsselkategorien identifiziert und gedeutet. Ein anschließendes Expertengespräch mit einer klinischen Psychologin über die generierten Daten half, offene Fragestellungen einer Klärung zuzuführen. Die Ergebnisse aus der empirischen Forschung zeigen auf, dass Hoffnung, Liebe und der Glaube an eine Höhere Macht/Kraft/Gott gegeben sind. Aus den narrativen Interviews wird deutlich, dass die Ursprungsthese eines negativen Gottesbildes, das lebensförderliche Veränderungen verunmöglicht, nicht haltbar ist. Das Ungleichgewicht zwischen Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe ist der Schlüssel zum Verständnis. Diese Forschungsarbeit ist daher nicht länger in der Normenethik, sondern in der Könnensethik bzw. Ermöglichungsmoral zu verorten.
Wichtig erscheint es, co-abhängigen Personen folgende Erkenntnisschritte zu ermöglichen: den eigenen Beitrag zur Stabilisierung der belastenden Lebenssituation zu realisieren und Hilfe für die Veränderung hin zu einem positiven, lebensförderlichen Handeln an der alkoholkranken Bezugsperson und an sich selbst, anzunehmen. Die alles dominierende Hinwendung zum Partner bzw. zur Partnerin zeigt den Systemfehler auf, der im Miteinander der co-abhängigen Person mit der alkoholkranken Bezugsperson liegt. Für die Überwindung dieses Ungleichgewichtes ist die Ausbildung eines gesunden Verhältnisses zu sich selbst und zur nahestehenden alkoholkranken Person unabdingbar.
Wie dies gelingen kann, wird im fünften Teil ausgeführt, der einerseits einen Überblick über interdisziplinäre Lösungsansätze für Wege aus co-abhängigem Verhalten gibt und andererseits die aufgezeigte Blockade der Liebe theologisch-ethischen Beobachtungen und Reflexionen unterzieht.
Co-abhängigen Personen zu ermöglichen, selbst für lebensförderliche Veränderungen zu sorgen, fällt in den Bereich der pastoralen Ermöglichung. Im sechsten Teil der Arbeit wird eine mögliche pastorale Begleitung co-abhängiger Personen zu einem verantwortungsvollen Leben in Freiheit und Freude skizziert. Es werden die Kernfragen sowie die Herausforderungen für pastorales Handeln im Kontext von Co-Abhängigkeit erläutert, indem Anknüpfungspunkte aus den narrativen Interviews aufgegriffen und diskutiert werden. Die Arbeit schließt mit einem pastoraltheologischen Leitfaden für das Aufzeigen begehbarer, befreiender und lebensförderlicher Wege aus dem Dilemma co-abhängigen Verhaltens.