Abstract (deu)
Vorliegender philosophischer Beitrag zur Depression als Sozialpathologie und als moderne Erfahrung untersucht die ihr zugrundeliegende, machtstrukturierte Subjektivierungsweise. Dafür werden aus dem Hauptwerk der gegenwärtigen wissenschaftlich-gesellschaftskritischen Debatte, "Das Erschöpfte Selbst" des Soziologen Alain Ehrenberg, dessen Thesen zur Geschichte der Depression und ihrem Verhältnis zu veränderten Autoritätsstrukturen und Individualitätsnormen des 20. Jahrhunderts abstrahiert, systematisiert und anhand Michel Foucaults Machttypen und Subjektivierungsweisen kritisch untersucht. Dabei wird neben diversen diskurs- und machttheoretischen Schriften und den ersten drei Bänden von "Sexualität und Wahrheit", insbesondere der 2018 erstveröffentlichte vierte Band rezipiert. Folgende Schlüsse lassen sich aus einer solchen Analyse für die moderne Ausprägung von Subjektivität ziehen: Die moderne Depression bildet das Andere der gegenwärtigen Normen erfolgreicher Subjektivierung, in welcher das Subjekt in einer durch die Ideologie der Individualität verdeckten Spannungskonstellation steht, zwischen dem Anspruch individualisierter Verantwortung und maximaler Lebensentfaltung einerseits, und einer existentiell und sozioökonomisch begrenzten Machtposition andererseits. Die Depression erfüllt dabei – eingebettet in spezifischen Formen moderner Subjektivierung und Machtstrukturen, welche eine selbstgeführte Lebensentfaltung fordern – drei Funktionen: (I) Sie liefert eine Erfahrungsweise des Scheiterns an modernen Anforderungen der Individualität, (II) bietet Techniken zur Wiederherstellung jener Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Selbstkonstitution innerhalb gegenwärtiger Machtstrukturen notwendig sind und (III) verschleiert die strukturellen Bedingungen ihrer eigenen Entstehung.