Abstract (deu)
Besonders für mittelalterliche und frühneuzeitliche Formen der literarischen Tätigkeit gilt, dass die Gruppenbildung einen separaten öffentlichen Raum bietet, in dem die Mitglieder der Gruppe die Rolle und die kulturelle Identität der literarischen Tätigkeit verwirklichen können. Die ungarische Literaturgeschichte weist auch mehrere solche enge oder lose literarische Kreise und Schriftstellergruppen auf. Anhand der bisherigen Fachliteratur, stellten die schon hierarchisierten, akademischen und literarischen Kreisen und Salons im 18. Jahrhundert die ersten relevanten Zentren des literarischen Lebens dar. Laut meiner These, tritt dieses Bedürfnis nach einem organisierten literarischen Leben schon im 15. Jahrhundert auf. Um diese zu untermauern, beabsichtigte ich mit meiner Forschung die Tätigkeit der ungarischen Poeten- und Schriftstellergesellschaften im Mittelalter und im Zeitalter der Renaissance zu analysieren.
Das Ziel meiner Dissertation war es, den Beginn dieser frühen Gruppierungen, die sich von jener der Aufklärungszeit unterschieden, zu erforschen. In meiner Forschung beschäftige ich mich gezielt mit der Epoche der ungarischen Literatur von 1000 bis 1600.
Die Forschungsfrage, die meiner Arbeit zugrunde liegt, war die folgende: Ab wann finden sich erste Spuren literarischer Zusammenschlüsse in Ungarn?
Um dies beantworten zu können, musste ich zunächst feststellen, welche Art von Kontakten die Netzwerke des literarischen Lebens überhaupt definierten und was für ein Modell diese Kollektive bildeten. Mein Ausgangspunkt war, diese frühen Gruppen als kulturelle Knotenpunkte zu sehen. Um den vorliegenden Quellenkorpus analysieren zu können, verwendete ich die Methoden der Netzwerkforschung, und diese führten mich zu der Frage, wie wir diese Gesellschaften als ein Netzwerk in einem Graph visualisieren und analysieren können, um dadurch neue Informationen über die Wirkung und die Identität der Literaten zu erhalten.
Vorliegende Doktorarbeit baut auf die folgenden Arbeitsschritte auf:
1. die Ausarbeitung des theoretischen und methodischen Rahmens für die Anwendbarkeit der Netzwerkforschung in der Literaturgeschichte;
2. die Ausarbeitung einer Definition der literarischen Gruppen, die differenzierende Gruppierungsgrade berücksichtigt;
3. die Untersuchung der gemeinschaftsbestimmenden Motive der Zusammenschlüsse, die zwischen 1400 und 1600 literarische Aktivitäten in Ungarn betrieben;
4. eine Analyse des vielschichtigen Netzwerks von Personen, die mit den alten, zwischen 1473 und 1600 veröffentlichten ungarischen Drucken in Verbindung standen.
Daneben legte ich eine Datenbank an, um die Visualisierung und Analyse der zu berücksichtigenden Gesellschaften durchführen zu können. Ich erstellte ein relationales Datenmodell, und arbeitete die Metadaten der auf Ungarn bezogenen gedruckten Publikationen und ihrer Autoren, Drucker und Mitwirkender zwischen 1473 und 1600 auf. Die Daten wurden anhand der ungarischen Quellenedition Régi magyarországi nyomtatványok 1473–1600 (RMNy I.) und des zusätzlichen RMNy-Supplementums festgelegt und beschrieben. Die Zubereitung der Datenbank und die Datenverarbeitung gelten als eine grundlegende Aufgabe der Dissertation.
Die in der Dissertation durchgeführte Netzwerkanalyse zeigt, dass bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ein Netzwerkzentrum all derjenigen zustande kam, die an literarischen Aktivitäten beteiligt waren. Dieses Zentrum konnte die auf verschiedenen Gattungen, Konfessionen und institutionellen Beziehungen basierten Teilnetzwerke erfolgreich miteinander verbinden. Es wurde ein mehrschichtiges Netzwerk von Beziehungen aufgebaut, das den Bestand des literarischen Lebens sicherte.